Kolumne
Seuchenbekämpferheldentum
Wird die Politik beim Klima künftig ebenso konsequent handeln wie bei Corona?
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Spieler – Das Schauspielhaus Bochum (06/2020)
Assoziationen: Debatte
In den letzten Jahren wurde beim Bemühen um eine ergiebigere Anpassung des Politischen ans Wirtschaftliche das Gesundheitswesen nahezu komplett privatisiert. Vermutlich gedacht als humanitär erscheinende, soziale Verbesserung im marktwirtschaftlichen System. In Wirklichkeit die Umwandlung sozialer Einrichtungen in Orte rücksichtsloser Ausbeutung. Die folgenden Jahre wurden Wirtschaftsblütenjahre und so vorzeigbarer Beweis für den angeblichen Erfolg der vorausgegangenen Regulierungen.
Die Stimmung im Land ist in dieser Zeit dementsprechend: Es gibt zehn Prozent Dauergewinner mit kontinuierlich steigender Gewinnzufuhr. Stimmung: permanente Akkumulation von Wohlbefinden. Es gibt um die sechzig Prozent, die weder gewinnen noch verlieren. Stimmung: allmähliche Anhäufung von Frust. Und es gibt die, die teils zu Recht, teils eher gefühlt glauben, Verlierer zu sein, weil sie Gewinner nie waren und weil über die ungleiche Verteilung plötzlich wieder geredet wird. Stimmung: explosiv gewordene Unzufriedenheit.
Auf dem Höhepunkt dieser Wirtschaftsblütenzeit strömen urplötzlich Fremde ins Land, nicht unaufhaltsam, nur un-aufgehalten, und verkörpern perfekt den gesuchten Sündenbock für die immer spürbarer werdende Ungleichheit in der Gesellschaft – und verpassen dabei, buchstäblich im Vorbeigehen, dem gerade erfolgreich restaurierten alten System ein neues politisches Gesicht: eines mit erkennbar alten Runzeln, wie Runen so schräg.
Die darauffolgenden Positionierungskämpfe „Wer ist der bestgetarnte Nazi im Land“ um Wählerstimmen von Flüchtlingsfeinden und jeder...