Genau so und nicht anders
von Milo Rau
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Milo Rau
Die Handlung von „Die letzten Tage der Ceauşescus“ ist die kollektive Anwesenheit in einem jedermann bekannten, mythischen Ereignis – und letztlich ist dieses Ereignis als historisches nur noch ein Vorbild, ein Vorwand. Der innerste Widerspruch des Realismus seit Flaubert, die unauflösbare Spannung zwischen Referenzialität und Darstellungspräsenz, zwischen kulturell tradiertem Vorbild und auf der Bühne (oder im Buch oder im Film) erschei nendem Abbild als Abfolge praktischer und materieller Details, macht die „Handlung“ dieses Stückes aus. Was „Die letzten Tage der Ceauşescus“ – unfertig vielleicht und bloß experimentell – postulieren, ist eine Kunst nach der Kunst, ist eine Ausdehnung des Wirklichkeitseffekts auf die Gesellschaft der Dinge und der Menschen überhaupt. Es ist, um Rancière zu zitieren, die Erprobung einer „Stimme, die eine Vielzahl von Stimmen und Erfahrungsweisen in sich aufnimmt“ – aber genau hier und genau jetzt, an diesem Ort und nirgendwo sonst. Mit genau dieser Lautstärke und genau diesen Schweigsamkeiten, in genau dieser Länge und mit genau diesem Ende – genau so und nicht anders.
Auszug aus: „Genau so“, zuerst erschienen in: „Authentizität und Wiederholung“, Berlin 2013.