Theater der Zeit

Das Institute for the Performing Arts and Film in Zürich

Das Vorwort im Jubiläumsbuch

von Anton Rey und Yvonne Schmidt

Erschienen in: IPF – Die erste Dekade – 10 Years of Artistic Research in the Performing Arts and Film (06/2018)

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Das Institute for the Performing Arts and Film (IPF) existiert seit zehn Jahren. Anlässlich einer umfangreichen Evaluation der Jahre 2011–2015 fiel auf, wie viele Projekte in diesen Jahren entstanden sind. Der Überblick nach einer Dekade schien imposant: Durchführung von Projekten, Drittmittelakquise, Netzwerk-Aufbau, Teambildung, Tagungen und Publikationen – das alles wurde uns erst bewusst, als die Kollektion gesammelt war.

Das war uns Anlass, eine Bestandsaufnahme der bisherigen Tätigkeiten des IPF vorzunehmen, verdichtet auf den 216 Seiten dieses Buches. Der Fokus liegt auf der Darstellung von Forschungsprojekten mit und durch performative Praxis und Film der vergangenen zehn Jahre, kombiniert mit einzelnen, für diese Publikation entstandenen Beiträgen. Auch eine Auswahl der vielen gescheiterten Unternehmungen ist enthalten. Wie nach dem Theatralitätsgefüge des Theaterwissenschaftlers Rudolf Münz das «Nicht-Theater», also Theater, das nicht stattgefunden hat, nur die andere Seite der Medaille (des «Theaters») ist, sind für uns die «Nebenprodukte », das Verworfene oder für nicht förderwürdig Befundene, für unsere Forschung ebenfalls konstitutiv geworden. Sie bildeten nicht selten die Voraussetzung für das Gelingen eines Folgeprojekts.

Wir sind beim Finden oder gar Erfinden unserer Themen in den ersten Jahren in Ruhe gelassen worden, was wahrscheinlich für unsere Entwicklung das Beste war, was uns passieren konnte. Zugleich standen wir formal unter permanentem Druck. So musste ein Drittel des Gesamtbudgets aus Drittmitteln akquiriert werden, internationale Netzwerke sollten aufgebaut und, möglichst ohne Kosten zu verursachen, Publikationen gestreut werden, damit die Kunsthochschule zum Leuchtturm auch in der Forschungslandschaft würde. Wo wir mehr Wirkung erzielen wollten, mussten wir zwangsläufig auch mehr Geld auftreiben.

Qualität blieb ein vorrangiges Ziel, nicht öffentliche Aufmerksamkeit. Lieber auf einem kleinen Acker firm sein, als auf dem grossen Feld zu versumpfen. Viele unserer Themen galten zuvor als nicht erforschbar und entsprangen keiner bekannten wissenschaftlichen Tradition. Sie liessen sich kaum in eine Publikationsreihe einordnen, eröffneten aber für uns Neuland und bestätigten, wenn sie denn am Ende auf eine aufmerksame Rezeption stiessen, worauf die Forschenden zu Beginn noch in heimlich verbissener Überzeugung insistiert hatten.

Der Spielraum hierfür war einerseits weit, weil keine Forschungstradition diktierte, wie genau unsere Fragen untersucht, debattiert und publiziert werden sollten. Andererseits war er sehr eng, weil jede Idee, jede Fragestellung sofort in eine Diskurstradition gesteckt werden wollte. Evaluationsgremien verlangen nach Kriterien, Peer-Gruppen nach Vergleichbarkeiten und unsere Grundfinanzierung reichte nicht aus, um die eigene Forschungslandschaft zu bestellen. Also mussten Drittmittel her und damit eine Antragsprosa, mit der wir die inhaltlichen Interessen in förderwürdige Projekte übersetzen konnten. Die Sprachverliebtheit der Theater-, Film- und Tanzforschenden kam uns da sehr gelegen. In manch einem unserer Gesuche lässt sich im Nachhinein der dramatische Aufbau erkennen, wurden Inhalte erst sichtbar durch geschmeidige Formulierung. Dies umso mehr, als wir so gut wie nie das Medium zur Botschaft machen durften. Die Kunst blieb Kernanliegen, das Format der Publikation und Dissemination dem jeweiligen Gegenstand angepasst. Dennoch blieben die Forschungsergebnisse auf Bühne und Leinwand selten ohne Text.

Was wir nicht ohne ein wenig Stolz feststellen können, ist die Tatsache, dass heute niemand mehr am Forschungsauftrag der Kunsthochschulen zweifelt. Wir haben ein paar erste Etappenziele erreicht und eine erstaunliche Anzahl von Forschungsprojekten durchgeführt, wenn auch nicht ohne damit eine weitaus breitere Reihe neuer Hoffnungen, Erwartungen, Aussichten wachzurufen. Die eigentliche Aufgabe, mit diesen Projekten unserer Lehre und indirekt auch der Gesellschaft dienstbar zu sein, wird sich nie vollständig einlösen, aber die baumelnde Mohrrübe vor des Esels Nase reizt weiter. Wir sind dran.

Das Schöne an der Forschung ist, dass man sieht, was bewegt, initiiert und hinterlassen worden ist. Spuren. Mit diesem Sammelband liegt nun eine erste Trackingsammlung vor, ein interdisziplinäres Logbuch, eine Art Wollknäuel mit rund hundert eilig zusammengewickelten Fäden, von denen jeder einzelne mit viel Überzeugung, Sorgfalt und Akkuratesse gewoben wurde.

Die Forschung nicht primär über die Ergebnisse oder Historien der Künste, sondern in direkter Verbindung mit den Künsten ist noch lange nicht etabliert und international verbreitet. Das jeglicher Forschung innewohnende Unbekannte oder gar Extravagante, das Manische, Irreale und Abenteuerliche war uns hilfreich und dürfte in Zukunft auch der künstlerischen Forschung noch viele Wege weisen. Wer, wenn nicht die Künstlerinnen und Künstler, sollte sonst die Verrücktheiten unserer Zeit noch interpretieren können?

Wir freuen uns, wenn Sie sich beim Blättern ein wenig verlieren und vielleicht sogar den einen oder anderen Strang weiterführen. Für uns war das erst der Anfang.

Die Herausgeber

 

The Institute for the Performing Arts and Film (IPF) is celebrating its first ten years. When we comprehensively evaluated the years 2011–2015, it became apparent just how many projects were created during this time. The overview after a decade was impressive: implementing projects, acquisitioning external funds, establishing a network, team building, conferences and publications – it wasn’t until the collection was put together that we became aware of all of this.

This motivated us to look back on all previous activities of the IPF, which we have condensed in the 216 pages of this book. The main focus is the description of research projects for and with performative practice and film over the last ten years, as well as individual contributions created for the publication. A selection of several unsuccessful ventures is also included.

Just like the concept of theatricality developed by theater scholar Rudolf Münz in which “non-theater”, meaning theatre which did not take place, is only the other side of the coin (of “theatre”), for us the “byproducts”, which were discarded or not found worthy of a grant, were nonetheless essential for our research. Often they were the prerequisite for the success of a follow-up project.

In the first few years we were left alone to find, or even to devise, our own topics, which was probably the best thing that could have happened for our development. However, we were under constant pressure when it came to formalities. A third of our total budget had to be acquired from external funds, international networks had to be established and publications had to be released – if possible at no extra cost – in order for the university to also take on a leading role in the research landscape. Whenever we wanted to achieve a greater impact, we would inevitably have to raise more money.

Quality was always a priority, it was not about gaining public attention; it is better to have sound knowledge in one field than to lose your way in many. Several of our topics were previously considered “unresearchable” and they did not stem from any established scientific tradition. They could hardly be placed in any existing series of publications, but we broke new ground with them and, being well received in the end, they confirmed what the researchers had initially intended in their secretly determined conviction.

On the one hand, we had a good deal of freedom as there was no research tradition dictating how our questions should be analyzed, discussed or published. On the other, we were limited because every idea and every question immediately needed to be part of a long-established discourse. Evaluation committees demand criteria, peer groups need comparability and our basic funding was not sufficient to cultivate our own research landscape. So we needed external funds, which required developing an “application language” with which we would be able to translate the content-related interests into projects worthy of a grant.

The love of language that theatre, film and dance researchers share was very useful to us. In retrospect, the dramatic structure of many of our applications is recognizable and the substantial content matter became visible only through using convincing language especially because we hardly ever made the medium the message. The arts were always our main concern and the format of publication and dissemination was adapted to the respective subject matter. But the research results on stage and on screen could rarely do without a text.

We do not say this without a bit of pride, but it is a fact that today there is no longer any doubt about the research assignment of arts universities. We achieved several milestones and conducted an astounding number of research projects, thus evoking a much wider range of hopes, expectations and prospects. The actual objective was for these projects to also be of service to our teaching and indirectly to society and this is something that will never fully be achieved. However, the dangling carrot in front of the donkey continues to motivate. We’re on it!

The beauty of research is that you can see what it provokes, initiates and leaves behind. Traces. This anthology is a first tracking collection, an interdisciplinary logbook, a ball of wool of sorts made up of about a hundred hastily rolled up threads, each of which was woven with great conviction, care and accuracy.

Research that is not primarily about the results or histories of the arts, but directly connected to the arts is far from being either established or internationally widespread. The unknown, or even extravagant, the manic, the unreal and the adventurous, all of which are inherent to any kind of research, are all beneficial to us and will lead the way for future artistic research. If not the artists, then who should access the madness of our time?

It would please us if you would lose yourself a little in the following pages and maybe even continue to weave one or another strand. For us, this was just the beginning.

The editors

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