3. Vor und hinter dem Vorhang
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Die Spielart Toni gewann seit den 1980er Jahren auf allen sozialen Feldern kontinuierlich an Mitspielern und Einfluss. Andere Spielarten, deren relatives Gewicht schwer zu bestimmen ist, behaupteten sich jedoch oder formierten sich neu.
Kleider machen Leute heißt ein großformatiger Bildband von Herlinde Koelbl aus dem Jahr 2012, der den Betrachter die ganze heutige Artenvielfalt sehen lehrt. Manche der dort Abgebildeten könnten aus Sanders Werk hierher gelangt sein. Als hätte die Zeit Blasen angesetzt, präsentieren sich Militärs, Juristen, Geistliche auf zunächst einmal vertraute Weise, als Repräsentanten ihrer respektiven Berufsstände. Daran gewohnt, in der Gesellschaft etwas ‚darzustellen‘, wählen sie eine Darstellung, die genau das zum Ausdruck bringt. Die Selbst-Funktions-Balance dieser Personen neigt offenkundig den ihnen anvertrauten Verantwortungsbereichen zu. Darüber näheren Aufschluss zu erlangen, ist man nicht auf Vermutungen angewiesen. Die von Koelbl Porträtierten zeigen und sagen selbst, wo sie sich natürlicher, zwangloser, unverstellter fühlen: im Beruf oder im Privaten. Man sieht sie einmal vor dem öffentlichen Vorhang und dann dahinter, bei sich daheim. Von der Fotografin aufgefordert, den Szenenwechsel kurz zu kommentieren, geben sie ihre Präferenzen kund. Dank dieses Kunstgriffs fächert sich das Reich der Arten weiter auf, als es vorderhand den Anschein hatte.
Funktionsstolz, um damit zu beginnen, ist nicht gleich...