Jahnns Texte - Welches Theater
Erschienen in: Recherchen 12: Das Politische Schreiben – Essays zu Theatertexten (10/2012)
Das Theater von heute hat bis jetzt sehr wenig mit der Geisterwelt des modernen Dramas zu schaffen. Der Expressionismus war schon eine sehr gute Erfindung. Jammerschade, daß man so wenig davon bei sich behalten konnte. (VI, 929)
Viel Stoff bietet die Rezeptionsgeschichte der Dramen von Jahnn im Theater bekanntlich nicht. Einem spektakulären Achtungserfolg, der Oskar Loerke zu verdanken war, dem Kleistpreis 1920 und der auffallenden Brecht-Fassung des PASTOR EPHRAIM MAGNUS folgte die durchgängige und bis heute andauernde Abneigung der Bühnen gegen seine Stücke. Die mutigen und bedeutenden Ausnahmen ließen sich, sieht man von dem gelegentlichen tagespolitisch motivierten Griff nach dem Anti-Atom-Stück TRÜMMER DES GEWISSENS und mehreren MEDEA-Inszenierungen ab, allzu rasch daherzählen.1 Die nahe liegende Frage nach den Gründen beantwortet sich scheinbar leicht: Formal wurde die dem Expressionismus und dem Pathos verpflichtete Sprache Jahnns schon bald als obsolet empfunden. Inhaltlich sind die sexuellen und aggressiven Exzesse, die Evokation intensiver und peinlicher Körperlichkeit an der Grenze zur Auflösung des Humanen oft schwer erträglich. Unbestreitbar ist Jahnns Dichtung (wie die Kleists und Rimbauds) auch eine der Pubertät. Die Verkürzung auf den Topos »Dichter der Homosexualität« kommt hinzu. Durch die schiere Länge der Stücke und den...