Kulturpolitik und kulturelle Bildung
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Teilhabe an Kultur ist in hiesigen Breitengraden seit jeher ein wichtiges nicht nur kulturelles, sondern auch politisches und pädagogisches Gut. So haben Kulturinstitutionen in Deutschland seit Jahrhunderten eine bedeutende Funktion hinsichtlich (politischer) Bildung inne. Damit Kultur ihr Kapital im Sinne Bourdieus entwickeln kann, geht mit ihr das Schaffen von Bildung einher: Theater-, Museums- und Konzertbesuche sind für das Bürgertum nicht nur unverzichtbare Rituale. Bei näherer Betrachtung des Begriffs „Bildungsbürgertum“ wird zudem deren hoher Stellenwert innerhalb der deutschen Gesellschaft für den Bereich Bildung sichtbar. So spielen für die Definition und das „Erlernen“ von Bildung Kulturinstitutionen eine bedeutende Rolle: Nicht nur Theateraufführungen gelten seit langer Zeit als Lernort bürgerlicher Etikette, sondern auch Konzerte und Ausstellungen sind für den Bildungssektor hoch geachtete Reflexions- und Erfahrungsräume. Die „Kultusministerien“ der Länder sind meist auch für Bildung und Wissenschaft zuständig, beziehungsweise fallen Kultur und Bildung oftmals in einem Ministerium zusammen.
Georg Bollenbeck zeigt in Bildung und Kultur: Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, inwieweit innerhalb des deutschen „Sonderwegs“275 „‚Bildung‘ und ‚Kultur‘ […] als Besitz [erscheinen], als sozialreputative Aktivposten, mit denen man sich schmückt.“276 In dieser Tradition lässt sich die Forderung nach „kultureller Bildung“ verorten, die nach der PISA-Misere kurz nach der Jahrtausendwende als...