7 Intervokale Herangehensweisen
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
7.1 Zum Begriff der Intervokalität
Vielstimmige Formen des Spielens und Sprechens entstehen nicht nur als Resultat der chorischen bzw. musikalischen Arbeit am Text, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurde, sondern auch als Resultat von Monologisierungsprozessen, aus denen ein intervokales Sprechen hervorgeht. Der Begriff „Intervokalität“ wurde von Helga Finter geprägt und bezieht sich auf das Zitieren stimmlicher und sprecherischer Charakteristika. Finter stellt analog zum Begriff der Intertextualität (vgl. S. 145 ff.) die Frage nach der vokalen Dialogizität auf der Bühne. Wie jeder Text ist auch die Stimme, so Finter, nicht ein Produkt, sondern ein produktiver Prozess, der sich einem Dialog mit anderen an- und abwesenden Stimmen verdankt (vgl. Finter 2002, 41). Zum einen kann Intervokalität einen Dialog mit den Stimmmerkmalen von tatsächlich existierenden oder vormals existierenden Personen anbieten (hörbar z. B. in Martin Wuttkes Auseinandersetzung mit der Sprechweise Hitlers als Arturo Ui in Heiner Müllers Inszenierung Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Brecht13), zum anderen stehen intervokale Stimmen im Dialog mit kulturell kodierten und wahrscheinlichen Stimmen (hörbar z. B. im Zitieren der Stimmcharakteristika bzw. prosodischen Muster der flachen deutschen Synchronstimmen amerikanischer Soaps in Inszenierungen René Polleschs) (vgl. ebd. 42). Dabei werden laut Finter vor allem die...