Theater der Zeit

Stück

Traurigkeit & Melancholie oder Der aller aller einsamste George aller aller Zeiten

Fragment

von Bonn Park

Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)

Assoziationen: Dramatik

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PERSONEN

Der einsame George
...
Krisen
Tränen
Einsamkeit
große Themen
aussterbende Arten
Welt
Zeit

 

– für George –

 

Eins:
Einsamkeit

 

Der einsame George
war eine Riesenschildkröte. Er kam auf die Bühne, so schnell wie eine hunderttausend Millionen Jahre alte Riesenschildkröte auf die Bühne kommen kann. Dann verschnaufte er kurz (schildkrötenkurz) und kreischte. Und kreischte. Und kreischte. Und dann seufzte er. Und dann kreischte er wieder. Und dann seufzte er wieder. So vergingen Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Jahre. Und dann kam traurige Musik.
Aber sie ist einfach nicht so traurig wie George. Sie könnte ihn niemals berühren, weil seine Melancholie und Einsamkeit in Gebieten sind, die wir uns nicht vorstellen können, und sie sitzen dort schwermütig wie nichts, das wir kennen. Denn George ist der letzte seiner Art. Aber was soll man da machen? Er lebt ja einfach weiter, während alle um ihn herum sterben. Die Zeiten ändern sich und ändern sich und wie Baumringe gräbt sich eine Falte nach der anderen, Jahrhundert um Jahrhundert, in seine Stirn ein. George hat alles erlebt. Und auch wenn „alles“ ein großes Wort ist, George ist ja auch groß.

Der einsame George: Ich wurde geboren, ich habe laufen gelernt, ich habe lesen gelernt, ich habe schreiben gelernt, ich habe Einsen geschrieben, ich habe Sechsen geschrieben, ich habe Klassen übersprungen, ich bin sitzen geblieben. Ich habe mich betrunken und gekotzt. Ich habe einer Freundin die Haare gehalten, als sie betrunken war und gekotzt hat und ich habe auch anschließend mit ihr geschlafen. Ich habe das mit Kondom gemacht, ich habe das ohne Kondom gemacht, manchmal kam ein Kind raus, manchmal nicht, dann war ich Vater und damals hieß das auch Ehemann und später habe ich mich auch scheiden lassen, einmal, zweimal, dreimal, wieder die erste geheiratet, wieder geschieden, erst Frauen, später Männer, dann ganz anderes. Ich habe mich verliebt, ich habe mich verliebt, ich habe mich verliebt. Ich habe Sozialdienst geleistet, ich habe FSJ-Kultur gemacht, ich war im Ausland, ich war bei der Bundeswehr, bei der Reichswehr, in der roten Armee, in der weißen Armee, in der US Army, in der Royal Army, in der Royal Navy, in der Royal Airforce, Bolschewiki, Menschewiki, Römer, Aufständischer. Ich habe im Zweiten Weltkrieg gedient, für die einen und für die anderen, im Ersten Weltkrieg auch, im Amerikanischen Bürgerkrieg, im Spanischen Bürgerkrieg, in jedem Bürgerkrieg, im Dreißigjährigen Krieg, im Hundertjährigen Krieg, im ewigen Krieg. Ich habe in der Französischen Revolution gekämpft, ich habe ein trojanisches Pferd gebaut. Ich spreche alle Sprachen dieser Welt. Ich hatte Briefwechsel mit Goethe, Aristoteles, einem T-Rex, diesem anderen Franzosen, Friedrich Schiller und anderen. Ich hatte keine Briefwechsel mit Adorno, mit Butler, mit Jelinek, mit Steve Jobs, mit meiner Freundin in der Ferne. Ich habe einen großen russischen Epos um die Jahrhundertwende geschrieben, ich habe eine Million Euro bei Wer wird Millionär? gewonnen, ich habe eine Million Dollar bei Who wants to be a millionaire? gewonnen und eine Million Afghan Afghani bei Sok Ghwari Chi Shi Millonar? Ich war Weltfußballer, Welthandballer, Weltranglistenerster in Golf, Tennis, Tischtennis, Radfahren. Welt- und Europameister im Fliegen-, Mittel-, Halbschwer- und Schwergewicht folgender Verbände: WBF, WWF, WBC, WBA, WWC, WWA, WCA, WWW, IBO, EBO, WTF. Ich habe zugesehen, wie Rapunzels Haar bis zum Boden wuchs. Ich habe Preise gewonnen für Filme, Frieden und Wissenschaft. Ich war Schauspieler. Und ich kann mich in meinen Panzer verkriechen und wieder herauskommen. So, so, so und so auch. Mehr?

Und nun ist er in unserer, dieser Zeit hier angekommen, ausgerechnet an diesen Ort, mitten reingeplatzt. Das muss man so mit allem Nachdruck sagen, denn es ist nicht immer so einfach mit George. Er mag zwar sehr traurig sein und es ist sicherlich nicht einfach, der letzte seiner Art zu sein, aber überall, wo er auftaucht, bringt er die Menschen an ihre Grenzen. Ihr Wunsch, ihm etwas Gutes zu tun, ist nämlich und ganz logisch ungeheuer groß. Wer so ein schreckliches Schicksal tragen muss, wem es so schlecht geht, dem muss man doch etwas Gutes tun. Doch das Dilemma ist ja, dass George schon so alt ist. So so alt. Wie kann man so jemanden glücklich machen? Wie kann man dich glücklich machen, George?

Ich würde gerne sterben. In der Sandmulde, in der ich geboren wurde. Mit Blick auf das Meer. Ganz friedlich und bei Sonnenuntergang.

Das geht leider nicht.

Okay.

Und dann schauten wir eine verdammt lange Weile aus dem Fenster. Lass es zwei, vielleicht drei Jahre gewesen sein, bis ich mich dazu entschloss, seinen Panzer zu streicheln, sanft und freundschaftlich. Und so verging wieder eine ganze Weile, in der ich problemlos hätte schildern können, wie sich die Panzeroberfläche für meine Hand angefühlt hatte, was ich dabei empfand, was ich dachte, was George wohl dabei empfand, über die Wolken am Himmel hätte ich berichten können, über den Wind, die Kälte, die Hitze, den Schnee, die Kinder, die erwachsen wurden. Aber seine Trägheit (wenn es sich hierbei jemals um Trägheit gehandelt hatte) wurde auch die meine und seine Gleichgültigkeit gegenüber schönen Umschreibungen wurde auch meine Gleichgültigkeit. Irgendwann war meine Hand blutig vom streicheln, so dass ich jemanden auftreten ließ, sagen wir, ich weiß nicht, eine Person. Er oder sie also trat durch, sagen wir, die Tür auf, die knarrte, und fing an, mit ihren oder seinen wunderbar zarten Händen den jetzt blutigen Panzer von George zu streicheln. Doch irgendwann erwachte ich aus dieser nun schon eine ganze Dekade dauernden Trance und fragte ihn, was wir denn jetzt machten und er meinte, dass wir halt nichts mehr machen. Und ich fragte ihn, was er sich denn wünschte und er sagte, er würde eben gerne sterben in dieser Sandmulde und so weiter.

 

Zeit

Für ein ganz normales Lebewesen mag es seltsam sein, dass George nur noch sterben möchte. Es mag schlimm klingen, schwierig, unangemessen, vermessen, vielleicht auch überheblich, selbstmitleidig, deprimiert, deprimierend, schlimm, sehr sehr schlimm. Aber der einsame hat viele gute Gründe, warum er nicht mehr mitmachen möchte und das ist im Grunde schon die Quintessenz. Denn George hat ja eigentlich nie mitgemacht. Bei mehreren hunderttausend Jahren auf dem Panzer erscheint die Zeit anders. Er ist einfach zu langsam oder die Zeit zu schnell. Wenn er Kalender geführt hätte, dann könnte man mit dem Papier, Gott, ich weiß nicht, etwas Riesiges damit bauen. Wahrscheinlich das Riesigste überhaupt und es wäre das stabilste Riesigste überhaupt, obwohl es aus Papier gemacht ist. Wenn George einen Abrisskalender hätte, er müsste gleich einen ganzen Batzen abreißen, damit er immer aktuell wäre. Und er müsste das ständig und permanent machen, um der Zeit nicht hinterher zu sein. Und hierbei gehen wir davon aus, dass er nicht in der Küche hängt und George vom Bett aus dorthin laufen müsste oder Ähnliches. Dann müsste der Abrisskalender auf jedem Blatt ein anderes Jahr haben, er müsste ein Jahrhundert, wenn nicht ein Jahrtausendkalender sein! Ein paar Epochen würden vergehen, ehe er ihn überhaupt erreicht hätte. Sagen wir, der Wecker klingelt, doch bevor George ihn ausmachen könnte, sind die Batterien leer. Er setzt den ersten Fuß auf und zum ersten Mal in der Geschichte wird ein Mammut mit einem Speer erlegt. Er setzt den zweiten Fuß auf und die Eiszeit ist vorüber. Er richtet sich im Bett auf und streckt sich, während Rom erbaut und wieder zerstört wird. Er geht die zwei Schritte zum Fenster. Eins: Mozart ist geboren. Zwei: „Amadeus“ ist abgedreht. Und er öffnet die Gardinen und der Kapitalismus ist zu Ende. Er schaut aus dem Fenster und er sieht den Tag und dann die Nacht und dann den Tag und dann die Nacht. Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer,
Herbst, Winter, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer, Herbst, und so weiter. Sonnenuntergang, Sonnenaufgang. Weltuntergang, Weltaufgang. Hundertfach.

Der einsame George: Boing.

Boing. Genau. Wie lange war das jetzt?

Die Dritte: Dein Boing ist kürzer als sein Boing.

Während mein Boing nicht mal eine Sekunde dauert, hat Georges Boing dein ganzes Leben gedauert. Jetzt bist du alt und schrumplig.

Der einsame George: Boing.

Sie ist tot.

Essen (zu I oder IV)

George hat mal alle süßen Tiere der Welt ineinander gestopft und gegessen. Nun hat er sich gedacht, er setzt noch einen drauf und er wollte alle Tiere der Welt ineinander stopfen und essen.

Also ging George auf die Jagd. Und innerhalb kürzester Zeit, oder zumindest innerhalb einer Zeit, besorgte er sich alle Tiere der Welt, tötete sie und stopfte sie so ineinander:
Blauwal, gefüllt mit Glattwal, gefüllt mit Grönlandwal, gefüllt mit Pottwal, gefüllt mit Buckelwal, gefüllt mit Walhai, gefüllt mit Orca, gefüllt mit Riesenoktopus, gefüllt mit afrikanischem Elefant, gefüllt mit See-Elefant, gefüllt mit asiatischem Elefant, gefüllt mit Giraffe, gefüllt mit Breitmaulnashorn, gefüllt mit Panzernashorn, gefüllt mit Nilpferd, gefüllt mit Weißwal, gefüllt mit afrikanischem Spitzmaulnashorn, gefüllt mit Teufelsrochen, gefüllt mit weißem Hai, gefüllt mit amerikanischem Bison, gefüllt mit asiatischem Wasserbüffel, gefüllt mit Grizzlybär, gefüllt mit Eisbär, gefüllt mit Pandabär, gefüllt mit Salzwasserkrokodil, gefüllt mit Gorilla, gefüllt mit Gaur, gefüllt mit Kaffernbüffel, gefüllt mit sich selbst, gefüllt mit Hammerhai, gefüllt mit Löwe, gefüllt mit Anakonda, gefüllt mit Strauß, gefüllt mit Blauhai, gefüllt mit Leopard, gefüllt mit Tiger, gefüllt mit normalem Oktopus, gefüllt mit Delfin, gefüllt mit Hund, gefüllt mit kleinem Hund, gefüllt mit Katze, gefüllt mit (und an dieser Stelle überspringen wir ein paar Tiere, da sie vor allem süß sind und schon in einer anderen Liste existieren) Vogelspinne, gefüllt, sagen wir einfach, mit diversen Insekten wie Ameisen und Marienkäfer.

Er würzte es schmackhaft und tat Trockenobst dazu, dazu sollte es Apfelrotkohl und Klöße geben. Er schob den Blauwal gefüllt mit Allerlei in den Ofen, der so groß war wie eine Mehrzweckhalle und ließ es bei mittlerer Temperatur einige Tage garen. Er deckte den Tisch, der ein Basketballfeld auf vier Mietshäusern war, mit einigen hundert Kerzen, Tellern und doppelt so vielen Stäbchen. Und er lud alle seine Freunde zu seinem Festmahl ein. Doch es kam niemand, denn alle seine Freunde sind tot, und einige von ihnen sogar im Essen. Also aß er alleine, doch es war absolut unmöglich für ihn, so viel Fleisch zu essen, so dass er den Rest in das Kühlfach (Grönland) tun wollte, doch bis er Grönland endlich erreicht hatte mit seinem Schlitten, gezogen von 99.999 Huskyhundenn (der 100.000ste war ebenfalls im Essen), war das Essen schon verfault und das Eis von Grönland geschmolzen. Er fand nur eine große, öde Taigawiese vor und war immens enttäuscht. Er ließ die Hunde frei und setzte sich auf die einzige Blume, die auf dieser Wüstenwiese wuchs und weinte. Währenddessen aber verfaulte erst und verrottete dann das Essen, mit all diesen leckeren und unleckeren Tieren drin, die er nicht einmal alle probieren konnte und die Erde, auf der das Megafleisch lag, wurde auf eine noch nie dagewesene Art fruchtbar und es wuchsen Pflanzen, die es bisher noch nicht gegeben hat beziehungsweise neu und zum ersten Mal wuchsen. George drehte sich um und betrachtete das Schauspiel, und für ihn war es ein Schauspiel, denn er konnte sehen, wie die Pflanzen wuchsen, aus denen Bäume wuchsen und neue Tiere entstanden, für uns natürlich in einem Menschenleben mit unseren Menschenaugen absolut unmöglich wahrzunehmen. Und hatten alle Lebewesen der Welt vergessen beziehungsweise nie gewusst, welches Grauen George der Welt damals mit seinem Essen angetan hat, und sie sahen nur die Schönheit der neuen Arten oder nahmen sie sogar schon hin als ihre natürliche Umwelt oder gar als sich selbst, wusste einzig George noch, wie das alles passieren konnte. Und nach diesem für ihn kurzen Schauspiel von Schönheit, verfiel er wieder in eine tiefe, tiefe Melancholie und weil er nicht mehr weinen konnte, übergoss er sich mit einem Blauwal voll Salzwasser.

George & das Haar der Rapunzel

George, ein Turm und etwas Blondes, das nicht wirklich aus dem Turm herausguckt. Unten steht ein Prinz und hüpft. Er versucht mit aller Macht, das Blonde zu erreichen, aber da fehlen gut und gerne zwanzig Meter. Es ist völlig offensichtlich, dass er das so niemals schaffen kann. Und ich glaube, das weiß er selber. Man könnte fast den Eindruck bekommen, er macht das nur, um George oder uns zu amüsieren. Es sieht ja auch verdammt witzig aus. Währenddessen ruft er immer „Ah!“ und „Oh!“ und „Mist!“ und so weiter. Und er ruft „Weh mir, ich schaffe es nicht!“ und macht ihr dabei noch verdammt viele Versprechen, so wie „Ich werde wiederkommen und dich retten, das verspreche ich.“ und „Ich liebe dich über alles!“ und so weiter. Sie wissen schon. Und dann ging er.

George geht einen Weg und braucht sehr lange und er ist allein.

Zwei:
Hass

Ein erster Gedanke – wenn nicht der erste Gedanke überhaupt und aller Zeiten – schoss durch meinen Kopf und es ist immer eine Überwindung, einen ersten Gedanken auszusprechen, vor allem nun den ersten aller ersten, aber in diesem Fall, was hatte ich schon zu verlieren. Er lautete natürlich wie folgt: Möchtest du eine Artgenossin?

Der einsame George: Na gut.

Eine Artgenossin tritt auf. Sie ist riesig und nicht so alt, hat einen attraktiven Panzer und ein zauberhaftes Muster darauf. Sie setzt sich auf seinen Schoß. Sie ist liebevoll zu ihm. Sie gibt ihm den perfekten Kuss.

Ich glaube, ich wünsche mir doch keine Artgenossin.

Die Artgenossin geht ab. George schlief ein oder schaute aus dem Fenster und das machte mich wütend. Meine stille Gewalt verwandelte sich in enorm laute. Ich ließ drei weitere Artgenossen auftreten. Es treten drei weitere Artgenossen auf. Eine besonders schön, eine besonders klug und eine besonders unzuordenbar. Sie alle legen eine tolle Show hin. George aber weigerte sich, nein, er gleichgültigte sich, er gleichgültigte sie. Er schien alles ertragen zu können, ob er es mochte oder nicht, still und egal. Schlimmerweise klang das für mich wie eine Herausforderung, obwohl kein Ton zu vernehmen war. Und so wurde ich unausstehlich. Die drei Artgenossen bedrängen George widerlichst und penetrant. Die drei Artgenossen schmieren sich mit Dingen ein und sagen schmutzige Sachen. Die drei Artgenossen sind jetzt ein dreiköpfiges Tierarztmonster. In seinen sechs Händen in sechs Gummihandschuhen hält es sechs Gegenstände, um George ejakulieren zu lassen. Und so holt das dreiköpfige Tierarztmonster George einen runter. Und dann einen zweiten, einen dritten, einen vierten, einen fünften. George hat Schmerzen. Schwierige und schlimme Schmerzen. Ich bestimme, dass er Schmerzen hat. Ich will, dass er Schmerzen hat. Und so ist es auch. George hat Schmerzen. Es tut weh und es ist erniedrigend. Das dreiköpfige Tierarztmonster sammelt das Sperma im Reagenzglas, sie werden damit weiteren Schildkröten Schmerzen zufügen, damit seine Art nicht ausstirbt, aber es werden Unterarten sein, und es wird nicht funktionieren. Es wird alles umsonst gewesen sein. Schmerzen, die umsonst sind, tun am meisten weh.

Au.

Oder willst du ein Mensch sein? George verwandelt sich in einen Mann. George verwandelt sich in eine Frau. George verwandelt sich in eine schwarze Frau. George verwandelt sich in eine schwarze, schwule Frau. George verwandelt sich in eine schwarze, schwule, behinderte Frau. George verwandelt

Hör auf.

George verwandelt sich in eine Wiese und durch das Tal zieht ein eisiger Wind und es fängt an zu schneien und George, die Wiese, friert ein. George verwandelt sich in das Feuer und verbrennt mich an meiner Haltungslosigkeit oder am Ärmel.

Aussterbende Arten I: Der Fleiß

Der Fleiß
Meine Liebe, ich beweise dir, dass ich Gefühle habe und nehme dich jetzt in den Arm. Ich habe Tränen in den Augen und weine mit dir, aber das mache ich nicht, um dir etwas zu beweisen, sondern weil ich ehrlich traurig mit dir bin. Ich werde meinen Job weiter machen, auch wenn es falsch, nein, schlecht, nein, mitunter auch schlecht sein kann. Denn im Gegensatz zu dir, weiß ich nicht nur, dass gewissenhaftes (nicht im ethischen Sinne) und echtes, authentisches Arbeiten die einzig wahre Arbeit ist. Und dass Arbeit froh macht. Nein. Im Gegensatz zu dir, habe ich es auch begriffen und lebe danach. Ich verurteile dich nicht, mir ist es egal, wie und ob du arbeitest. Denn Menschen wie ich, die so viel arbeiten, verlieren, da hast du ganz Recht, viel Empathie. Sie bleibt Stück für Stück liegen auf dem Weg zur Zufriedenheit, da fällt mal was raus und da bezahlt man mal damit, weil man kein Bargeld dabei hat. Die einen – so wie ich – nennen es begreifen, dass es dazu gehört, und die anderen benennen es gar nicht. Und die noch anderen – die deinigen – verurteilen es. Und dann gibt es sogar die, die nicht arbeiten und zufrieden sind. Aber leider gehörst du nicht zu denen und irgendwie, auch wenn es eigentlich ganz einfach aussieht, kannst du das nicht. Das ist schade für dich, denn fürs Geld müsstest du ja nicht arbeiten. Davon gibt es genug und vor allem genügend, zu dem du auch Zugang hättest. Eltern, Großeltern, Erbe, was auch immer. Denn du bist eine Geldpennerin. Du willst zufrieden sein, aber es geht nicht. Das ist scheiße. Denn du begreifst, auch das Nichtarbeiten muss man lernen. Und das werden wir alle lernen, unsere Kinder und deren Kinder. Wir werden alle Geldpenner sein, so wie du. Und dann im Jahr 3000 wird man sich fragen: Was war zuerst, der Fernseher oder das bedingungslose Grundeinkommen?* Meine Empathie ist verkrüppelt, so dass mich das traurig macht, aber nicht verändert. Und warum sollte es das auch? Ernsthaft, warum sollte es das? Deine Unzufriedenheit ist nicht meine. Ich bin die aussterbende Art, ich muss geschützt werden, nicht du. Egal wie fies die Sachen sind, die ich sage. Ich sterbe aus! Also fick dich ins Knie und ich lass dich los und gehe wieder an die Arbeit. Ich als deine beste Freundin bitte dich jetzt zu gehen, damit ich produktiv sein kann und du nicht.

*Fernseher und bedingungsloses Grundeinkommen: Der Arzt wird Künstler. Der Künstler lehrt den Arzt. Der Arzt, der jetzt Künstler ist, lässt sich Verantwortungslosigkeit und Selbstgerechtigkeit beibringen. Der Künstler, der jetzt Lehrer ist, glaubt ihm etwas über die Verbesserung der Welt beigebracht zu haben, doch die Welt lässt sich nicht mehr verbessern, denn sie ist perfekt, nein, sie ist vollendet, nein, sie ist fertig, denn der Künstler, der mal Arzt war, macht jetzt das, was immer an seinen Wänden in der Praxis hing, und seine Praxis ist jetzt eine Galerie und die Galerie hat Besucher und die Patienten haben keinen Ort mehr und sterben, aber das ist okay, denn lebend hatten sie nur noch eine Hand frei, denn die andere umklammerte die Fernbedienung, und die Fernbedienung hatte keinen Ausknopf, und das Gerät zeigte die Langeweile, und sie nannten sie Leben und an der Hand war der Rest und der Rest klebte auf dem Sofa und das Sofa sah man vom Fenster aus, und neben und unter und über und weit weit darüber waren noch mehr Fenster und überall klebten Reste in Sofas. Und unten auf der Straße sitzt der Künstler, der früher mal ein Arzt war, und malt das.

George & das Haar der Rapunzel II

George, ein Turm und etwas Blondes, das sicherlich schon einen Meter aus dem Fenster des Turms herausragt. Und unten ein Prinz, derselbe Prinz, inzwischen mit Bart und Schwert, so einem richtigen Schwert und einem zumindest halben Bart, der hüpft und keine Leiter mitgebracht hat. „Warum hast du keine Leiter mitgebracht?“ ruft die Prinzessin. „Ja, warum hast keine Leiter mitgebracht?“ ruft auch George von seinem billigen Platz. Der Prinz fasst sich an den Kopf vor Dummheit und wirbelt wie in einem Comic mit Geschwindigkeitslinien und Wuselgeräuschen aus den umliegenden Bäumen eine Leiter. Fertig! Er stellt sie hin an den Turm und er klettert bis auf die letzte Sprosse herauf. Er streckt sich. Und streckt sich! Doch es fehlen immer noch gut zehn Meter. Er, nicht mit Klugheit gesegnet, hupft und denkt, er kann zehn Meter hupfen oder eben, wie gesagt, er tut es zu unserer aller Belustigung, hupft und fällt hinunter die Leiter entlang, alle Sprossen in der Mitte mit seiner großen Nase zerbrechend, eine Klaviertonleiter rast beiläufig dazu ebenfalls von einem C zum anderen hinunter und wumms!, liegt er da auf dem Boden und nur die Vögel, die sich um seinen Kopf drehen, merken noch was. Er schüttelt die Bewusstlosigkeit von sich und verspricht noch einmal allerlei, das meiste davon ist dasselbe geblieben, die Wörter lieben und retten kommen häufig vor.

George erfindet eine Maschine

Der einsame George oder ich als Erzähler (und dann in dritter Person)

Zeit zum Nachdenken hatte ich genug. Zeit allgemein. Zeit erfand die Langeweile. Und als ich noch jung und übermütig war, wollte ich mich nicht langweilen. Also dachte ich, ich muss der Zeit ein Schnippchen schlagen und selbst auch etwas erfinden, das der Zeit das Leben nahm, so wie ich es wollte. Eine Maschine, die Zeit so zurechtschneiden konnte, dass man zum Beispiel Langeweile einfach wegnehmen konnte aus diesem Strahl oder Kreis (wobei ich mir nun recht sicher bin, dass es ein Strahl ist, schließlich habe ich nie meine Eltern wiedergetroffen oder dergleichen) und die aufregenden, tollen, ereignisreichen Momente ohne Pausen oder mit kleineren, gewollten Pausen, wie bei einem guten Film, hintereinander legen könnte. Ich machte mich also ans Werk und der erste Prototyp war schnell fertig. Ich testete es an mir selbst und nun erzähle ich nicht weiter. Ich glaube, das ist besser so.

George geht einen Weg und braucht sehr lange in einem Wettlauf mit einem Hasen. Als George ankommt, liegt nur ein Hasenskelett im Ziel.

Drei:
Depression

Depression. Depression, deprimierend, depridepri, depri sonne, depri sonne multivitamin, depri sonne multimelatonin, depri schatten multimelatonin. Depression ist, wenn man verdammt traurig ist und man weiß nicht wieso. Depression ist, wenn man nicht froh ist, und man weiß nicht wieso. Depression ist ganz ganz große Langeweile. Depression ist, wenn die Endorphine Winterschlaf machen und im März den Wecker nicht hören. Und nicht im April und auch nicht im Mai und im Juni kurz Pipi gehen und noch so müde sind, dass sie sich wieder hinlegen. Und so ging er wieder.

In diesem Kapitel schauen wir noch einmal auf die Zeit zurück, als George ein Psychotherapeut war (oder Psychologe oder sowas).

George geht einen Weg und braucht sehr lange und diesmal begleitet ihn eine Depression

Andere aussterbende Arten III: Der gesunde Mensch oder die Gesundheit an sich

Und dann schickte ich ihn zu einem Profi. Lang vor unserer Zeit oder danach.

Der gesunde Mensch oder die Gesundheit an sich, man nennt ihn oder sie auch den Doc.

Der Doc: Hallo George.
Der einsame George: Hallo Doc.
Der Doc: Ist es nicht ein schöner Tag heute?
Der einsame George: Nein.
Der Doc: Aber die Sonne scheint doch! Die Sonne, George. Die Sonne.
Der einsame George: Die Sonne scheint sehr oft. Ich leg mich jetzt mal auf das Sofa, in Ordnung?
George legt sich aufs Sofa und natürlich! Es dauert sehr lange.
Der Doc: Was ist es, was dich zu mir führt an diesem schönen Tag, George?
Der einsame George: Doc. Halt doch mal die Klappe. Ja? Lass uns doch ein bisschen still sein.
Der Doc: In Ordnung.
Sie schweigen und das nicht zu kurz. Auf keinen Fall zu kurz. Gute Laune, George. Gute Laune.
Schweigen. George, du bist ein klasse Typ. Aber ich habe heute noch sehr viele Termine.
Der einsame George: O.

Der Doc: Ja, denn es gibt sehr viele Menschen, die krank sind und meine Hilfe brauchen. Jeden Tag kommen Zigtausende, ach was sag ich, Millionen Milliarden Menschen zu mir in die Praxis und wollen gerettet werden, genauso wie du. Aber früher war das alles noch anders. Früher kamen so Leute und haben gesagt: Mensch, Doc! Wie geht’s dir? Ja, das war damals üblich, sich zu grüßen, heute ist das ja ganz anders. Also da kam dann jemand und sagte: Mensch, Doc! Ich hab seit 3 Tagen nichts mehr getrunken. Ich hab richtig Durst, hast du vielleicht einen Schluck Wasser für mich? Oder n Happen zu essen? Weil ich hab seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen. Oder jemand kam mit starken Verletzungen, so ohne Arme und Beine oder so und klagte über starke Schmerzen im Arm- und Beinbereich. Da kamen Leute, die hatten überall Beulen und waren wirklich hässlich, nicht so meine-Nase-hat-zu-wenig-Profil-in-der-Kamera-kannst-dudas-wegmachen-hässlich, sondern so richtig hässlich und am kotzen und scheißen die ganze Zeit und die konnten kaum noch reden, so harte Schmerzen hatten die. „Gu- ah- guten Ta-ah-arrghh. Wie, uh, wie, au, gehehts dirrrrrrgggh?“ Das waren noch Zeiten, George! Da hat mein Beruf noch einen Sinn gehabt. Das waren echt schöne Zeiten. Da hab ich dem Armlosen einfach ein paar neue Arme gemacht oder die Beulen entfernt, oder einen schönen Picknickkorb zusammengestellt, mit seltenem Fleisch und edlem Wein und denen dann auf die Schulter geklopft und gesagt, nu geh zurück zu deiner Familie! Und die waren dann überglücklich. Da kam dann jemand und hatte keine Augen mehr, weil er die Frau seines Herrn angeguckt hat, und ich gab ihm neue und durch war das Ding. Aber heute, George, heute haben alle Augen und Beine und Arme und noch viel mehr. Denen fehlt nichts. Die haben ja alles. Die haben alles und kommen und sagen, Doc, mir fehlt was. „Was denn“, frag ich verwundert und die dann so, ja, das weiß ich auch nicht so genau, mir geht’s einfach schlecht. „Ja, hm“, sag ich dann und schau noch mal genau hin, ob ich nicht etwas übersehen habe, „ja, hm, was könnte es denn sein?“. „Ich weiß doch auch nicht, Doc. Ich bin einfach so wahnsinnig unglücklich“. Tja. Da bin ich dann mit meinem Latein am Ende. Und das tut mir schrecklich Leid und weh, wenn ich nicht helfen kann. Was soll ich denn da machen? Da werd ich ja fast selbst bei unglücklich und ich muss da aufpassen, denn wenn ich unglücklich werde, dann ist hier aber die Hölle los! George, was ich sagen will, ist, okay, ich kann versuchen dich zu retten und ich werde mein bestes geben, aber bitte, George, erwarte nicht zu viel, es wird nicht funktionieren. Wie ich schon sagte, jeden Tag kommen Aber- und Abermillionen Menschen zu mir und sagen „Mir geht’s nicht gut, ich bin unzufrieden, jeden Morgen will ich im Bett liegen bleiben, ich stelle mir oft vor, wie ich von einem Hochhaus springe, manchmal fange ich an zu weinen und ich weiß nicht wieso.“ Und dann fangen sie auch noch an, über ihre Kindheit zu reden! Das ist das Allerschlimmste. Ich versteh einfach nicht, wieso jeder einfach so anfängt, über die eigene Kindheit zu reden! Das muss an diesem dämlichen Freud liegen. Sei’s drum! Was ich sagen will, ist, dass du selbstverständlich trotzdem noch ein Sonderfall bist. Du bist so reich an Traurigkeit und so arm an allem anderen. So reich an Traurigkeit bist du, wenn die Geld wär, dann könntest du ganze Firmen kaufen, die deine Traurigkeit in Tüten packen und sie überall auf der Welt verkaufen. Du bist ein Tränenmilliardär. Und ich bin nur die Gesundheit und ich kann dich nicht retten. Aber die Vergangenheit hat mich inspiriert und deshalb hier ein Vorschlag: Hack dir doch mal die Arme und Beine ab, halt das mal ne Weile aus und dann komm wieder, so existenziell wieder, sag guten Tag, Doc, ich hab da ein Problem. Oder stech dir die Augen aus oder hör einfach auf zu essen. Für ne Woche oder zwei oder gleich ein ganzes Jahr oder einfach so lange, bis es so richtig weh tut und dann noch ein bisschen. Dann verbrenn all dein Geld und Gut und fahr in die Wüste und such nach einem Stück Fleisch oder einem Blatt Salat. Wie wär das? Das würde ich dir jetzt mal hier so verschreiben. Weil ich bin wirklich am Ende mit meinem Latein und muss aufpassen, wirklich aufpassen, dass ich nicht auch noch so anfange. Das ist wirklich ansteckend, George, du bist verdammt ansteckend. Wie so ne echte Krankheit.

George schüttelt dem Doc die Hand und holt sein Portemonnaie hervor. Er fragt ihn, was die Stunde koste, die natürlich mehr als eine Stunde war, aber man sagt das ja so, die Stunde. Das Übliche, fragt George gleich hinterher und öffnet die Brieftasche wie ein Gynäkologe eine Vagina. Er holt ein paar Scheine hervor und drückt sie dem Doc in die Hand. Dann kramt er in seinem Panzer und holt alles aus ihm, was darin ist. Es sind Dinge, die wir alle besitzen, in anderen Farben vielleicht und von anderen Marken, aber nichts, was wir nicht auch zu Hause hätten, das eine nützlich, das andere nicht. Dann wühlt er in dem Haufen seiner Habseligkeiten und kramt eine Packung Streichhölzer hervor. Er schmeißt die Brieftasche ebenfalls auf den Haufen, doch vorher nimmt er ein paar Scheine heraus. „Für den Flug in die Wüste“, sagt George und zündet alle Streichhölzer auf einmal an. Er schmeißt es auf den Haufen und seine Habseligkeiten verbrennen und aus Versehen auch die Gesundheit, den sie Doc nennen.

George trifft etwas noch älteres oder fast genauso altes wie ihn

Hierbei kann es sich, wenn überhaupt, nur um etwas Außerirdisches handeln, um etwas, was nicht von unserer Welt ist. Die Erde ist es nicht und auch die Sonne ist zu jung, selbst unsere gesamte Galaxie ist ein Sprössling gegen George. Es müsste schon ein ganzer Kugelsternhaufen sein mit einem schwarzen Loch in seiner Mitte. Doch dieser Kugelsternhaufen mit seinem schwarzen Loch in seiner Mitte ist so weit von uns entfernt, dass ich nicht sehen, geschweige denn hören konnte, was sie miteinander zu bereden hatten. Doch kam George eines Tages zurück und er war braungebrannt und trug eine Sonnenbrille und er sah verdammt noch mal gut aus. Er zeigte mir ein paar Fotos von seinem Trip und war ganz aufgeregt und seine Augen leuchteten bei jedem einzelnen von ihnen. Ich dachte nur so, ist der jetzt irgendwie froh und bevor der Gedanke fertig war, fing ich schon an zu weinen und George sah mich etwas unverständlich an und setzte mir dann unverständnisvoll, aber mit Freundschaft seine Sonnenbrille auf.

George & das Haar der Rapunzel III

George, ein Turm und etwas Blondes, das schon bis zum Boden reichte. Und unten kein Prinz. Aber wenn er dort wäre, wäre er sicherlich schon älter, ein paar graue Haare hätte er und vielleicht sogar eine Krone und ein Reich, das er sein eigen nannte. Und an seiner Seite ein oder mehrere Fräulein, die alle so aussehen, wie Rapunzel vor vielen vielen Jahren, die den Prinzen veranlassten, viele Versprechen zu machen, die nun alle leer und unerfüllt blieben. Die Prinzessin weinte sicherlich sehr bitter, aber George konnte es nicht so genau sehen, da nur ihr Haar herausragte, das dreckig war und fettig, filzig und eher zu einer Imbissbude an einem Hauptbahnhof in irgendeiner dieser Großstädte passte, als in eines dieser schönen Märchen.

Vier:
Selbsttod

Es war einmal nichts. Und das Nichts tauschte sich zu etwas. Und das etwas tauschte Wasser gegen Pipi, Nahrung gegen Kot und Wissen gegen Neugier. Das ging eine Weile lang sehr gut und er tauschte Zeit gegen Alter und Raum gegen Größe. Doch dann eines Tages machte er den vielleicht schrecklichsten Fund seines Lebens. An irgendeinem Platz dieser Welt fand er einen Stift. Es war nicht irgendein Stift, nein! Es war ein herkömmlicher Stift. Vielleicht der herkömmlichste Stift, den es je gegeben hat auf dieser Welt. Vielleicht ein Werbegeschenk, einer zum Drücken oder zum Drehen, der funktioniert auf Papier, aber nicht auf Toilettenwänden. Nun, möchte man denken, was ist so furchtbar an einem herkömmlichen Stift? Das stimmt, eigentlich ist nichts Furchtbares dabei, er kann sogar ganz wunderbar sein und wäre es auch mit Sicherheit gewesen, wenn er damit etwas aufgeschrieben hätte, zum Beispiel einen Roman oder einen Liebesbrief an seine große Liebe. Was hätte aus ihm werden können? Was hätte nicht alles aus der Welt werden können? Aber nein. Seine Freude darüber, diesen Stift gefunden zu haben und nichts dafür eintauschen zu müssen, überwältigte ihn so sehr, dass er nicht mehr klar denken konnte. Er dachte nicht mehr an eine große Liebe und auch nicht an einen Roman. Er wollte sein Leben verbessern, er wollte diesen Stift, den er ohne Gegenleistung erhalten hatte, tauschen. Also suchte er sich jemanden, der mit ihm diesen Stift tauschen würde. Und die ersten lehnten ab, da sie misstrauisch waren und sich fragten, wo ein Sojemand solch einen herkömmlichsten Stift herhaben könnte. Doch irgendwann fand er einen Menschen, der leichtsinnig genug war, und er gab ihm den Stift und er erhielt dafür eine Nadel. Und diese Nadel tauschte er dann gegen eine Klammer. Und die Klammer gegen einen Apfel. Und den Apfel gegen einen Apfel aus Plastik. Und den Apfel aus Plastik gegen eine Tüte aus Apfel. Und die Tüte aus Apfel gegen ein Tütchen mit Drogen. Und das Tütchen mit Drogen gegen eine Handvoll Dollar. Und er überlegte kurz, ob er nun aufhören sollte und sich und einer großen Liebe zum Beispiel etwas Leckeres zu essen kaufen sollte in einem schicken Restaurant. Doch dann tauschte er doch die Handvoll Dollar gegen eine Handvoll Yen. Und die Handvoll Yen gegen zwei Fingerbreit Yuan. Und die zwei Fingerbreit gegen eine Fingerspitze Gold. Und die Fingerspitze Gold gegen eine Kniescheibevoll Kupfer, und die Kniescheibevoll Kupfer gegen einen Bierbauchvoll Öl, und den Bierbauchvoll Öl gegen einen Augapfelvoll Hollywoodfilm, Whiskey und Haus und den Augapfelvoll Hollywoodfilm, Whiskey und Haus tauschte er gegen ein bisschen weniger Hollywoodfilm, dafür ein bisschen mehr Whiskey und ein bisschen Haus in einem anderen Land, sagen wir ungefähr so viel wie in ein Holzbein passt. Und das bisschen weniger Hollywoodfilm, mehr Whiskey und ein bisschen Haus in einem anderen Land tauschte er gegen ein Bauprojekt an der Spree und ein halbes Startup, das Startup verschwand irgendwie, aber das Bauprojekt an der Spree wurde zu einem Bau und den Bau tauschte er gegen fünfzigtausend Chinesen, die mit ihren feinen Fingern feine Chips in feine Geräte steckten. Und die nicht mehr ganz fünfzigtausend Chinesen mit den feinen Fingern tauschte er gegen ein paar Prozent eines Burgerfranchise und die paar Prozent eines Burgerfranchise tauschte er gegen ein paar Prozent mehr an einem Rinderboulettenzulieferer dieses Burgerfranchises. Und in den Frachtschiffen des Rinderboulettenzulieferers fand er wieder ein paar Chinesen, und er so „Hey, euch kenn ich doch! Von wegen ihr habt euch umgebracht“ und dann tauschte er die gegen ziemlich viel Kokain, und die paar Prozent Rinderboulettenzulieferer tauschte er gegen Stammzellen. Und dann kam er ein bisschen durcheinander und machte das ziemlich viele Kokain zu ziemlich gestrecktem Kokain und tauschte es gegen die Stammzellen und durch diesen Fehler die Stammzellen gegen Aluminiumaktenkoffervoll unmarkiertem Geld, und das Kokain gegen ein paar Millionen Labormäuse. Und dadurch verringerten sich das Krebsleiden und Leberzirrhose bei Junkies dramatisch und auch das Arm-Beine-Mensch-Verhältnis geriet durcheinander, während Wissenschaftler vermehrt Artikel über Technoclubs ver -öffentlichten und Kraftausdrücke seither die Fachsprache ersetzen oder so ähnlich. Die paar Millionen Labormäuse vermehrten sich rasch und ernährten sich von den Aluminiumkoffern voll Geld und zeugten Kinder, halb Maus, halb Dollar. Es war ihm nicht geheuer und gleichzeitig empfand er eine tiefe, zynische, übernatürliche Freude und er fing an, in den Dollarmäuschen zu baden und hörte für einen Augenblick auf zu tauschen. Doch die Mäuse vermehrten sich so rasch, und die alten starben aus, so dass sich die neuen mit den neueren vermehrten und irgendwann waren da keine Mäuse mehr und nur noch Geld. Es müssen Milliarden gewesen sein. Mit seinem Mäusegeld wollte er sich etwas Schickes kaufen, doch ohne, dass er etwas tun konnte, tauschten sich seine Milliarden gegen nichts. Er konnte es sich nicht erklären. Wahrscheinlich starben sie einfach, weil ihre Lebenserwartung als Geld-Maus-Kreuzung nicht allzu hoch gewesen sein kann. Der Gestank von Milliarden verwesenden Dollarmäuschen brachte ihn um den Verstand, also bestellte er sich eine Reinigungsfirma. Die machte alles blitzeblank und stellte ihm eine Rechnung. Die Rechnung war eindeutig zu hoch für das Nichts, das er noch übrig hatte, also tauschte sich das Nichts gegen Schulden. Sein Tauschobjekt, das vor noch nicht allzu langer Zeit ein Stift war und nun eine wirklich verdammt lange rote Zahl, geriet völlig außer Rand und Band. Und es zanken sich die Schöngeister noch heute, ob nun sein letzter Tausch tatsächlich seiner oder der seines Objektes war. Denn er ging – ob nun freiwillig oder nicht – in die Stadt mit den meisten und höchsten und schönsten Hochhäusern, den Palästen mit den unsichtbaren Fassaden und den genauso unsichtbaren Schätzen, und er blickte nach oben und sah die eine Spitze, die die anderen überragte und das nun war sein Ziel. Er lief alle Stufen hoch, eine abnormal hohe Zahl an Stufen, für jeden Taler Schulden eine, auf seinem Weg überholte er andere, andere überholten ihn, und ihr Schweiß stank wie seiner, nach dem Wunsch, den Stift zurückzukriegen und doch etwas aufzuschreiben und nach einigen Tagen kam er ganz oben an, und er sah viele und aberviele Menschen, alle hager und nass vor Schweiß, nach Atem schnappend, die Arme auf die Oberschenkel gestützt, den Kopf hängend vor der Brust. Von den Haarspitzen tropfte Wasser salzig auf den Boden. Das ist die grausamste Musik, die ich je gehört habe, dachte er sich und stellte sich an. Alle Fenster waren geöffnet und aus ihnen flogen diejenigen, die wieder ein bisschen Luft in die weißen Blutkörperchen bekommen hatten. Die Architektur war sehr günstig dafür, da die gesamte Fassade aus Fenstern bestand. Unten auf den Straßen dieses Viertels regnete es Menschen. Es regnete auf ihre eigenen großen schwarzen Autos mit den großen leeren Tanks, und ein spektakuläres wie nerviges Alarmanlagenkonzert erklang ungestimmt in sicherlich irgendeiner Molltonart durch die Straßen. Oben war nun er endlich ganz vorne angekommen in der Sprungschlange und er – oder das Objekt – tauschte ein letztes Mal und nun gegen sein Leben.

George ist in einer großen Wüste und versucht Hunger zu haben

Gedanken zu Dingen XMMMMMCCCXXIV

Wohin wird das hier gehen? Es wird zu nichts führen. Ich strenge mich sehr an, aber es funktioniert nicht. Ich habe es wirklich versucht. Hier mit diesem zum Beispiel. Die Tote erwacht wieder zum Leben als dreiköpfiges Tierarztmonster. George erschrickt und verwandelt sich in die Angst, die ihm kommt. Das dreiköpfige Tierarztmonster verwandelt sich in den einsamen George. Die Angst möchte wieder George sein, doch das geht nicht, denn George ist ja schon George. Also verwandelt sich die Angst in einen riesigen Nussknacker und knackt sich durch Georges tausend Millionen Jahre alten Panzer in sein Fleisch rein und zerquetscht alles darin. George verwandelt sich in seine Schmerzen. Nein, er verwandelt sich doch nicht in seine Schmerzen, George will das nicht und ich kann überhaupt nichts dagegen tun. George ist jetzt stärker als ich und zum ersten Mal tut er, was er will, während der Nussknacker sich in eine Badewanne verwandelt und Georges Blut auffängt. Und jetzt. Und jetzt. Ich glaube, die Badewanne will sich endlich wieder in George verwandeln. Aber es scheint nicht zu funktionieren. Es funktioniert nicht. George ist tot. Und plötzlich dann endete die traurige Musik. ♫ Und alle Menschen der Welt fingen an zu weinen. Nein. Das geht nicht. Das führt zu etwas, aber es ist zu klein. Das ist doch nur Moral und die ist zu klein. Erinnern Sie sich an die ersten Worte. George ist groß. Und die Moral hier ist einfach zu klein. Das mache ich nicht. Sicherlich ist die Frage sehr aufdringlich, warum George nun diese Artgenossin abgewiesen hat. Er ist doch so einsam und so der letzte von sich und so weiter. Aber George hat es wirklich probiert mit dem Zusammensein statt einsam sein. Aber es ging sich einfach nicht für ihn aus. Er hat es wirklich oft und hart versucht, auch mit Freundschaft und Familie und so weiter, das versichere ich! Er hat gesprochen, Dialoge geführt, umarmt, geweint, zugehört und alles was man so macht.

Der einsame George: Ich war mal mit einer Schildkröte zusammen, zum ersten Mal. Wir lagen viel im Bett und unsere Hände und Münder und Genitalien berührten sich oft. Wir redeten darüber, was wir am anderen mochten und manchmal, was wir am anderen lieben, zum Beispiel alles. So: Ich liebe alles an dir. Nein, das war so: Ich liebe dich. Die Zeit ist ein fieses Biest und sie kann lang sein, also haben wir einen Film geguckt, manchmal haben wir Musik gehört und manchmal haben wir gegessen, aber immer hat sich etwas von mir mit etwas von ihr berührt. Und das wurde dann langweilig und wir versuchten zu reden, aber wir hatten nichts zu sagen. Und dann redeten wir nicht und wir berührten uns auch nicht mehr. Und dann redete ich wieder und sagte, was jeder sehen konnte, dass es vorbei ist, ich sagte also, es ist vorbei und dann war es das auch. Dann war ich mal mit einer Schildkröte zusammen und wir lagen viel im Bett und unsere Hände und Münder und Genitalien berührten sich oft. Wir redeten darüber, was wir am anderen mochten und manchmal, was wir am anderen lieben, zum Beispiel alles. So: Ich liebe all– Nein, das war so: Ich liebe dich. Die Zeit ist ein fieses Biest und sie kann lang sein, also haben wir eine Eiszeit angeguckt, manchmal haben wir Kriege gehört und manchmal haben wir gegessen, aber immer hat sich etwas von mir mit etwas von ihr berührt. Und das wurde dann langweilig und wir versuchten zu reden, aber wir hatten nichts zu sagen. Und dann redeten wir nicht und wir berührten uns auch nicht mehr. Und dann redete ich wieder und sagte, was jeder sehen konnte, dass es vorbei ist, ich sagte also, es ist vorbei und dann war es das auch. Dann war ich mal mit einer Schildkröte zusammen und wir lagen viel im Bett und unsere Hände und Münder und Genitalien berührten sich oft. Wir redeten darüber, was wir am anderen mochten und manchmal, was wir am anderen lieben, zum Beispiel alles. So: Ich liebe dich. Ich dich auch. Die Zeit ist ein fieses Biest und sie kann lang sein, also haben wir eine Galaxie sich mit einer anderen Galaxie verbinden sehen, manchmal haben wir einen Urknall gehört und manchmal haben wir gegessen, aber immer hat sich etwas von mir mit etwas von ihr berührt. Und das wurde dann langweilig und wir versuchten zu reden, aber wir hatten nichts zu sagen. Und dann redeten wir nicht und wir berührten uns auch nicht mehr. Und dann redete ich wieder und sagte, was jeder sehen konnte, dass es vorbei ist, ich sagte also, es ist vorbei und dann war es das auch. Fortan versuchte ich nicht mehr, mit Schildkröten zusammen zu sein, ich überlegte und dachte, dass das Reden nicht funktioniert, aber das Berühren ja irgendwie schon, zumindest für eine Zeit. Und ich begriff, dass ich mich zu sehr liebte, um jemand anderen genauso gern zu haben. Ich entwickelte ein neues Konzept. Ich wollte fortan nur noch die Hände, die Münder und die Genitalien anderer Schildkröten berühren, ohne Reden und ohne Zusammensein, ohne dass ich meine Liebe für mich allzu sehr mit jemand anderem teilen musste. Eine ganze Weile ging das gut, doch irgendwann dann nicht mehr. Ich wollte wieder reden und Ich liebe dich sagen. Ich wollte jemanden haben, dem ich sagen konnte, dass ihre Lippen so voll sind wie ein Kleinwagen bei einer furchtbaren Wetten, dass...?-Wette, dass ihre Augen so schön sind wie ein abgeschaltetes Atomkraftwerk und dass ihre Gedanken so wundervoll sind, dass ich sie manchmal klauen möchte und den Armen schenken will. Doch es sollte jemand sein, auf das auch das alles zutraf, bevor ich es ihr sagen konnte. Ich begab mich hinaus in die weite Welt und ehrlich gesagt wirklich nur, um so jemanden zu finden. Zur Arbeit gehen, mit Freunden treffen, andere Dinge, die man so macht, alles war nur noch ein Alibi, um jemanden zu finden, der genau so war, bevor ich sie kannte. Ich fand jemanden, es ging nicht gut. Doch dazwischen lag viel Zeit, ein paar Jahrhunderte vielleicht. Ich analysierte das Problem aufs Neue. Währenddessen fand mich jemand neues. Sie war großartig, wie alle anderen auch. Irgendwie war es einfacher diesmal. Vielleicht, weil ich schon so viel wusste über das Zusammensein und sie auch. Wir bekamen Kinder und ein Haus, ein paar Freunde und Arbeit. Irgendwie war es gut. Denn mit den Kindern konnten wir wieder anfangen, etwas Neues zu lieben und all die schönen Dinge, die man so gesagt hat, ihnen erzählen. Und man konnte ihnen erzählen, was die Welt ist und wie sie funktioniert, und wie die Leute so drauf sind und warum sie so sind. Und all das. All das konnte man ihnen erzählen. Und man konnte sie so zu etwas machen, das ich und sie immer sein wollten. Und ganz still und langsam und heimlich liebten wir uns nicht mehr. Alles Liebe verlagerte sich auf unsere Kinder. Und von unseren Kindern, weil sie ja kleine Ichs und Sies waren, wieder zurück auf uns selbst. Ihre Liebe auf sich, und meine Liebe auf mich. Und so liebten wir statt den anderen, statt den Kindern, wieder uns selbst. Und ich stand wieder am Anfang. Und so ging es zu Ende. Niemand war gestorben, niemand war böse, zumindest nicht so richtig. Niemand hat jemandes Vertrauen missbraucht, es ist einfach nichts dergleichen passiert. Nur war es zu Ende. Wir zerteilten das Haus in zwei, die Arbeit und die Freunde auch, und ebenso die Kinder. Das war hässlich. Ich hatte keine Lust mehr, ich zog mich zurück und dachte nach. Ich überlegte mir abermals ein neues Konzept, abermals suchte ich nach der absoluten Möglichkeit, absolut zu sein mit jemandem. Und ich grübelte hart und heftig, mir platzten Adern in Gehirn, Augen und Herz. Es wollte mir nicht gelingen. Aber ich gab nicht auf, ich überlegte und überlegte, ich zerbiss einige hunderttausend Bleistifte, ich notierte auf Papier von einem ganzen Urwald und schmiss es in einen Mülleimer, der so groß hätte sein können wie eine Fläche, auf der mal ein Urwald stand. Ich kam nicht ernsthaft weiter, ich zerbrach mir den Kopf. Ich sah aus dem Fenster und dachte weiter, nicht aufgeben, dachte ich. Ich sah und sah aus dem Fenster und ich dachte und dachte in die Welt hinein, die ich dort sah. Doch ich sah nicht richtig hin und irgendwann fiel mir auf, dass da nichts mehr war. Alle waren tot. Das Denken rettete nur mich. Bis auf meine Gedanken war da nichts mehr, es gab niemanden mehr. Und ich war verdammt nochmal froh. Weil ich es geschafft hatte. All das Denken zahlte sich in diesem Moment aus. Ich hatte eine Lösung gefunden. Das Angebot löste die Nachfrage, beides verschwand mit diesem Tag. Und ich war so glücklich wie noch nie.

The Slow & The Calmest CVIMMMCDDD II.0

Es sollte nicht sein. Er fand die wahre Liebe und entschied, sie nicht zu wollen. Es ist die Einsamkeit, die sein Leben wertvoll machte und lebenswert. Die heilende Depression und die ständige Sehnsucht nach Sterben. (Einmal versuchte er sich umzubringen, indem er sich auf den Rücken legen wollte, da er gesehen hatte, dass Schildkröten aus eigener Kraft sich nicht wenden konnten. Doch konnte er sich ebenso nicht aus eigener Kraft auf den besagten Rücken legen, so dass er hart nachdachte, wie er das schaffen könnte. Da kam ihm eine Idee und er lief den kleinen Hang hoch und rollte ihn in seinen Panzer eingekrochen hinunter. Doch er landete immer wieder auf dem Bauch. Es frustrierte ihn sehr. Eines Tages aber lag er dann doch tatsächlich und unverhofft – und er wusste auch gar nicht so recht wie und wieso – auf dem Rücken. Selig starrte er in den Himmel und wartete darauf, dass ihm sein Durst vor Verzweiflung das Leben aus seinem Körper trank. Doch er lag da so und es vergingen einmal mehr Jahrhunderte ohne Tod und Artgenossen.) Das ist etwas, was er für sich begriffen hat und was er uns alle Epochen voraus ist.
Wir werden jetzt deshalb warten und sehen, was passiert. Und wenn nichts passiert, dann ist das auch okay.

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NICHTs.

George & Das Haar der Rapunzel IV

Sie befestigte das Ende ihres Haars am Pfosten ihres Bettes hoch oben im Turm. Sie wickelte es einmal um ihren Hals und noch einmal, nur für den Fall. Dann sprang sie hinaus zum Fenster, doch anders als erwartet, wurde sie nicht von ihrem Haar erwürgt, sondern sie landete unsanft auf dem vom Winter hart gewordenen Torfboden auf und zerplatzte. Ihre Haare waren einfach zu lang geworden, so lang, man hätte sie bis zum Schloss spannen können, wo der Prinz lebte, der jetzt ein König war und all die Dinge tat, die ein König tut und an seiner Seite eine Königin. Oder zwei.

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NICHTs.

Und dann endete die traurige Musik ♫
Und die Sekunden verwandeln sich in Minuten und die Minuten in Stunden und die Stunden in Tage und die Tage in Wochen und die Wochen in Monate und die Monate in Jahre und die Jahre in etwas, in das ein paar hundert von diesen Jahren passt. Und wenn Sie sich jetzt im Spiegel ansehen, oder wenn Sie keinen Spiegel zur Hand haben, dann sehen Sie auf ihre Hände und wenn das, was Sie sehen, alt und schrumpelig ist oder Knochen oder nichts in Erde unter Schnee unter Regen unter Sonne unter Wind unter Wetter allgemein, dann hat das hier etwas wohin geführt, ja, dann hat es etwas gebracht. Und irgendwie ist etwas kaputt gegangen im Körper, aber im Kopf ist etwas ganz geworden. Und dann gehen Sie gleich hinaus und Sie finden es schwierig oder anstrengend und wenn Sie so ein bisschen Hüfte haben oder Gelenke, ist das alles gar nicht so schlimm, denn im Kopf, da ist etwas repariert worden, da hat die Langeweile, das Nicht die Einsamkeit oder wie auch immer etwas repariert. Die Melancholie hat da
eine Lücke geschlossen und Ihr Kopf begreift: Depression ist gesund. Nehmen Sie es in großen Maßen mit großen Löffeln zu viel zu sich, vor dem Schlafen gehen, danach, währenddessen, in der Mittagspause, beim Putzen, beim oder statt Sport machen und überhaupt. Lassen Sie das Bio im Regal
stehen und nehmen Sie lieber eine Schachtel Zigaretten mit oder zwei. Und wenn Sie gar in den letzten Jahren hier, die wir zusammen verbracht haben und die eben noch Sekunden waren, einfach gestorben sind, dann haben Sie alles richtig gemacht und alles bekommen, was ich, was George heute für Sie hier mitgebracht hatte.

Und dann ging George einen langen Weg und er brauchte sehr lange und am Ende starb er

nicht.

© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2014.

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