Theater der Zeit

Verdichtung von der Bewegung zur Institution

von Henning Fülle

Erschienen in: Wir haben es einfach gemacht! – Reisen in internationale Theaterwelten (07/2024)

In den 1970er Jahren, noch stark unter dem Einfluss der politischen Herkunft der Freien Gruppen in der Bundesrepublik, war das Seminar die zentrale Veranstaltungsform der selbstorganisierten Qualifizierung der Theaterleute: zur Kompensation der Mängel und Versäumnisse der herkömmlichen Institutionen der Bildung und Ausbildung (also Schule und Universität) und zur Fundierung der Aussagen und der organisatorischen und inhaltlichen Einbettung der Theaterarbeit in eine übergeordnete politische Strategie. Dabei war Theorie – das heißt Gesellschafts- und politische Analysen und Strategien der Überwindung der kapitalistischen, entfremdeten Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse – und vorzugsweise marxistische, sozialistisch-kommunistische Lehre der Hauptinhalt. Wenn das Theater seine ‚Rolle im Klassenkampf‘ angemessen spielen sollte, musste es darum gehen, die „Verhältnisse auf ihren Begriff“ zu bringen. Das Marx’sche Diktum, man müsse den „versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu zwingen“18, war zumal unter Theaterleuten ein sehr beliebtes Bonmot zur Bestimmung der Bedeutung ihrer Bemühungen um korrekte Theorie.

Neben der theoretischen Fundierung waren hierarchiefreie Selbstorganisation (auch der Schulung) und der Streit um die ‚richtige‘ Lehre wesentliche Anforderungen an diese Prozesse der Selbstschulung. Das ging so weit, dass die Rote Rübe in München sich selbst auferlegte, nach dem nicht zuletzt durch einen Workshop bei La MaMa in München veranlassten...

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