„Je länger man das kritische Metier treibt, je mehr überzeugt man sich davon, daß es mit den Prinzipien und einem Paragraphenkodex nicht geht. Man muss sich auf seine unmittelbare Empfindung verlassen können“, schrieb Theodor Fontane im Oktober 1877. Da saß er schon sieben Jahre lang auf dem Parkettplatz 23 im Königlichen Schauspielhaus in Berlin und hatte von Sophokles bis Kleist fast alles gesehen, was bis dahin am Gendarmenmarkt über die Bühne gegangen war.
Fontane sollte dort noch weitere 13 Jahre sitzen und in seinen letzten Kritiken zwischen 1889 und 1890 Ibsen und Hauptmann als Erneuerer des europäischen Theaters begrüßen. Dabei brachte er es auf über siebenhundert Rezensionen, die er stets nur mit „Th.F.“ signierte. Aber die Leser der Vossischen Zeitung wussten genau, wer sich dahinter verbarg. Fontane machte sich nichts daraus, dass ein bekannter Kritiker dieses Kürzel als „Theater-Fremdling“ verhöhnte, weil er über keine akademische Ausbildung verfügte. Dafür besaß er einen unbestechlichen Blick für Qualitäten und Mängel der Aufführungen und Stücke und ebenjene „unmittelbare Empfindung“, die ihn zum Anwalt des Publikums und der Schauspieler werden ließ. Es war keineswegs so, dass auf den Gesichtern der Darsteller beim Premierenapplaus immer zu lesen war: „Da sitzt das Scheusal wieder!“, wie Fontane einmal...