Dokumentarfilm
Vom Wesen des Dokumentarfilms
von Kurt Maetzig
Erschienen in: Theater der Zeit: Zeittheater oder Theater der Zeit? (07/1946)
In den letzten Jahren hat sich in der Filmsprache ein neuer Begriff herausgebildet: der Dokumentarfilm. Das ist keine neue, wohldefinierte Filmgattung, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Kategorien von Filmen, die ständig an Beliebtheit und Bedeutung gewonnen haben. Hierzu zählen besonders die Filmberichte der aktuellen Ereignisse, wie sie in Wochenschauen zusammengefaßt werden, beschreibende und belehrende Darstellungen von technischen, natürlichen und kulturellen Objekten und Ereignissen – allgemein gesagt, aller wirklichen Geschehnisse. Doch ist die Abgrenzung des Dokumentarfilms gegen den Spielfilm – die Wiedergabe einer erdachten, fortlaufenden Handlung nicht streng; denn ebenso wie ein Spielfilm dokumentarischen Einschlag durch Einbau wirklicher Ereignisse besitzen kann, enthalten viele sogenannte Kulturfilme erdachte Elemente, beispielsweise Rahmenhandlungen.
Das wesentliche Merkmal des Dokumentarfilms ist natürlich – so denken wir zunächst – seine Echtheit, seine Beweiskraft, denn ein Dokument ist ja bekanntlich eine Urkunde beweiskräftigen Charakters. Doch gerade hieran sind nach den trüben Erfahrungen, die, wir in den letzten Jahren mit der deutschen Kriegswochenschau gemacht haben, berechtigte Zweifel aufgetaucht! Lange Jahre hindurch zeigte man uns Tausende von echten Bildern und entwarf doch ein ganz falsches Bild. Man sah den Krieg stets als siegreichen Feldzug, die Wehrmacht erlitt niemals eine Niederlage, und man wählte nur solche Bilder aus, die nicht die Schrecken...