Gott oder Gliedermann. Die Puppe tanzt – und wird zur Metapher
von Jörg Lehmann
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
„Es ist sonderbar, aber, mir wenigstens, kommen die Marionetten viel ungezwungener, viel natürlicher vor als lebende Schauspieler, sie vermögen mich viel mehr zu täuschen.“
Justinus Kerner in einem Brief an Ludwig Uhland, 1809
„Tanzen muss man sie sehen! Siehst du, sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so unbefangen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände; und in dem Augenblicke gewiß schwindet alles andere vor ihr.“1
So lässt der 25-jährige Goethe seinen Werther 1774 über die Schönheit des Tanzes der von ihm angebeteten Lotte schwärmen. Dieser sieht ihren Tanz – mit den Augen des Liebenden – als eine Bewegung voller Harmonie, sie selbst „als wenn sie sonst nichts dächte“2. Der junge Goethe selbst spricht bei der Beschreibung leidenschaftlich von ihm geliebter Frauen von deren „Anmut und Lieblichkeit“, „unwiderstehlicher Anmut“ etwa, wenn er seine erste Begegnung mit der Pfarrerstochter aus Sesenheim schildert, Friederike Brion. Jene Friederike, an deren Liebe und kleiner Welt er schuldig wird, die er für die große Welt verlässt (Willkommen und Abschied). Durch einen Verrat, den er dann stellvertretend eine seiner frühen Theaterfiguren (ebenfalls 1774) bis...