Eine andere Währung des Glücks
von Milo Rau
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Milo Rau
Im Marketing heißt es bekanntlich streng nach Hegels „umso schlimmer für die Tatsachen“: Eine gute Geschichte darf man sich nie von der Wahrheit kaputt machen lassen. Das Gleiche gilt auch beim politischen Denken. Wie hätte sonst der Liberalismus die Finanzkrise und alle anderen Krisen des kapitalistischen Systems, wie hätte der Populismus die barbarische Blamage all seiner Werte im 20. Jahrhundert überstehen können? Und genau hier kommt Lenin wieder ins Spiel: der voluntaristische Lenin von „Was tun?“ (1902) und den „Aprilthesen“ (1917), aber auch der Lenin des völlig gegensätzlichen Buchs „Staat und Revolution“, das er im September 1917 schrieb. Denn genau hier – direkt nach Kerenskis Putsch gegen den Zaren, als erst mal die Entwicklung der bürgerlichen Zivilgesellschaft ins Haus zu stehen schien und nichts auf eine revolutionäre Situation hinwies – entsteht der gleichsam doppelte Lenin.
In „Was tun?“ und den „Aprilthesen“ singt er das Hohelied einer per Actionanalyse mit dem Weltgeist korrespondierenden Elite, es sind Manifeste des utopischen Ereignisses und der jakobinischen Taktik. Linke Philosophen wie Alain Badiou und Jacques Rancière, aber auch Politologen wie Chantal Mouffe oder Ernesto Laclau stützen sich auf diesen Lenin des „find, fix, finish“, der offenen Konfrontation und der Verweigerung aller demokratischen Ersatzstoffe....