Theater der Zeit

Kapitel 1: Einleitung und Überblick. Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater

Sichtbarmachung kolonialer Normen in Südafrika

von Julius Heinicke

Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)

Assoziationen: Wissenschaft Afrika

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Ein weiterer Impuls, der von Südafrika hierzulande aufgenommen werden kann, ist die Art und Weise, mit der Theater Normen und Werte, die Rassismus und Stereotypisierungen des Fremden fördern, verhandelt und dekonstruiert. Das Magnet Theatre zeigt mit Die Vreemdeling, dass die symbolische Ordnung, die sich hinter den Bildern des „Fremden“ und den Fremdheitserfahrungen beim Publikum verbirgt, dem Kolonialismus zugrunde liegt. Das Stück macht diese koloniale Normsetzung anhand der Vorurteile gegenüber dem „Fremden“ sichtbar und erfahrbar.

Blicken wir zunächst auf die Darstellung des Fremden in Die Vreemdeling, fällt auf – so zeigen es auch die anderen Beispiele aus Südafrika im Prolog –, dass sich Rassismus in Südafrika nicht auf Hautfarbe reduzieren lässt, sondern eine Strategie der Degradierung dessen ist, was von der kolonialen Norm abweicht, sei es die Sprache, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung. Mit dem Ende der Apartheid war es der in vielen Teilen der Welt begrüßte Wunsch der Regierung unter Nelson Mandela, eine „Rainbow Nation“ zu gründen, die nicht nur der Vielfalt der ethnischen Gruppen, sondern auch der Vielfalt an Lebensweisen und sexuellen Orientierungen einen rechtlichen Rahmen gibt. Südafrika hat die gleichgeschlechtliche Ehe als eines der ersten Länder in seiner Verfassung verankert. Der Herausgeber der sich selbst als „panafrikanisch“ titulierenden Zeitung Chimurenga, Ntone Edjabe, beschreibt den Zeitgeist der jungen Republik, Rahmenbedingungen zum Leben von gesellschaftlicher Vielfalt zu schaffen: „In Südafrika herrschte nach Mandelas Freilassung totale geistige Freiheit. Alles wurde hinterfragt: Gott, Politik, Sex. Es waren Afrikas Flitterwochen mit der Zukunft.“14

Der gesellschaftspolitische Diskurs der Postapartheidära fordert nicht nur die Gleichstellung von Ethnien ein, sondern auch von allen gesellschaftlichen und sozialen Lebensentwürfen und Orientierungen, die ebenso zum großen Teil aus kolonialen und anderen traditionellen Normen herausfallen und Jahrhunderte lang degradiert wurden.15 Die Regenbogennation hat aus dem Rassismus der Apartheid die Konsequenz gezogen, ein Staat der kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt sein zu wollen und diese mit der Verfassung zu schützen. Sicherlich wurden und werden die verschiedenen Gruppierungen ganz unterschiedlich von den kolonial motivierten Degradierungsbestrebungen drangsaliert, es darf hier also nicht um „Gleichmacherei“ gehen. Vielmehr soll in der Einbeziehung dieser diversen, lange Zeit benachteiligten und degradierten Gruppierungen das koloniale Prinzip und dessen Wirkungsmechanismen entlarvt werden. Mit einem vergleichenden Blick auf Südafrika soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Art und Weise es in hiesigen Breitengraden wirkungsmächtig ist und wie Theaterarbeit sich ihm stellt.

14Edjabe, Ntone im Interview mit Tim Neshitov, in: Süddeutsche Zeitung, veröffentlicht am 30. März 2015, http://www.sueddeutsche.de/kultur/afrika-serie-teil-panafrikanismusewige-flitterwochen-mit-der-zukunft-1.2416638?reduced=true, Zugriff: 6. Dezember 2016.

15Hier unterscheidet sich Südafrika auch von anderen afrikanischen Staaten wie Uganda und Zimbabwe, in denen Homosexualität bestraft wird und von den Staatsoberhäuptern, beispielsweise Robert Mugabe, als Krankheit des Westens bezeichnet wurde. (Vgl. Heinicke, Julius: „How to Cook a Country: Theater in Zimbabwe im politisch-ästhetischen Spannungsfeld“, Trier 2013 (LuKA Literaturen und Kunst Afrikas, Bd. 6, S. 76 – 81). Auch Franziska Dübgen und Stefan Skupien argumentieren: „So wird die Homosexualität einerseits als Modeerscheinung und Zeichen der Dekadenz des Westens gedeutet, andererseits gilt die Homophobie ebenfalls als ein Import des Kolonialismus und der vorrangig von den USA vorangetriebenen homosexualitätsfeindlichen Missionierung. Dass jegliche Praktiken, die von der heterosexuellen Matrix abweichen, weiterhin vielerorts als ‚unafrikanisch‘ stigmatisiert werden, verdeutlicht die medienwirksame Initiative in Uganda, Homosexualität unter schwere Strafen zu stellen.“ Dübgen, Franziska/Skupien, Stefan: „Einleitung“, in: Dies. (Hg.): Afrikanische politische Philosophie: Postkoloniale Positionen, Berlin 2015, S. 42.

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