Theater der Zeit

Magazin

kirschs kontexte: Er ist zu Schiff nach Frankreich

Zum Ende kommen

von Sebastian Kirsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)

Anzeige

Anzeige

Dieses wird die letzte Kolumne sein, die ich an dieser Stelle schreibe, und es ist gar nicht so leicht, nach ein paar Jahren „Kontexten“ ein passendes Ende zu finden. Gerne hätte ich die Reihe mit einer kleinen Variation über „Theater und Ende“ ausklingen lassen, zumal das Theater anscheinend eine besondere Beziehung zum Ende hat, von Hamlets „Der Rest ist Schweigen“ bis Becketts „Endspiel“, von Emilia Galottis seltsamer Erdolchung bis zu Noras finalem Türknall. Oder Schillers berühmte Schlusssätze, diese Apotheosen des Endes: „Dem Manne kann geholfen werden.“ „Kardinal, ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre.“ „Der Lord läßt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“ Selbst Pollesch hat kürzlich ein Stück inszeniert, das „Ich kann nicht mehr“ heißt. Darin wird gesagt: „Theaterabende sind wie das Leben. Wenn man sich nicht fest darauf verlassen könnte, dass sie mit Sicherheit irgendwann ein Ende haben werden, könnte man sie überhaupt nicht aushalten.“ Und erst die ästhetischen Enden, die in der Theatergeschichte einfach kein Ende finden wollen, vom Ende der Tragödie bis zum Ende der Repräsentation. Das Ende der Volksbühne hätte vielleicht noch Platz gefunden, das Ende des Ensemblemodells hätte diskutiert werden können, das Ende des Stadttheaters sowieso. Übrigens: Ein Ende ist kein Ziel, und das Ende von etwas bedeutet nicht, dass man ins Ziel gelangt ist. Das gilt nicht einmal für das „Ende der Geschichte“, wie soll es da für ein unvergleichlich bescheideneres Ende wie das einer Kolumne gelten?!

Aber dann bin ich über die Tatsache gestolpert, dass die Anfänge im Theater eigentlich viel wichtiger und oft genug auch beunruhigender sind als die Enden. Der erste Protagonist des ersten überlieferten Stückes ist Xerxes, und wenn er die Bühne betritt und sein erstes Wort („Ego“) äußert, ist eigentlich schon alles vorbei. Er hat einen Jahrtausendkrieg verloren, doch selbst bevor Xerxes seinen erbärmlichen Anfang macht, hat das Theater schon längst begonnen: Der Chor hat bereits von all denen gesprochen, die in diesem Krieg verendet sind. Schaurig auch die Frage „What bloody man is that?“, mit der Macbeth bei seinem ersten Erscheinen auf der Shakespeare-Bühne begrüßt wird – aber auch vor diesem Protagonisten haben sich schon die Hexen auf der Bühne getummelt, die noch viel schauriger sind. Sogar Becketts angebliche Endspiele sind bei näherem Hinsehen gar keine Endspiele, sondern Montagen von Anfängen. Denn dass Godot nicht kommt, heißt ja, dass es gerade nicht zu Ende gehen wird, und Vladimir und Estragon bleibt nichts, als einen Anfang an den nächsten zu ketten. Mag also sein, dass die Masken „verbraucht“ sind, „fin de partie“ wie es in Heiner Müllers Gedicht „Vampir“ einmal heißt, das Theater ist ja doch immer nur am Anfang. Aber hier ist jetzt erst einmal ENDE.

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige