Tbilissi Revisited. Theater unter postsowjetischen Bedingungen
Über die politische Zukunft Georgiens lässt
sich derzeit allenfalls spekulieren. Dauert
der Ausnahmezustand bei Erscheinen dieses
Heftes noch an? Finden die angekündigten
Wahlen im Januar statt? Kann die Regierung
von Präsident Saakaschwili sich (noch
einmal) behaupten oder schlägt die Stunde
der Opposition – aber wer ist das? Klar ist
allenfalls: Georgien sieht sich gegenwärtig
einer Zerreißprobe ausgesetzt, wie sie für
postsowjetische Staaten nicht untypisch ist.
Ein radikaler wirtschaftlicher und militärpolitischer
Westkurs führt zu scharfen außenpolitischen
Spannungen (mit Russland) und
innenpolitisch zu extremer sozialer Ungleichheit.
Zeiten der politischen und sozialen Krise wie die gegenwärtige artikulieren sich nicht zuletzt als Krisenzeiten kollektiver kultureller Identität. Was in Georgien auf dem Spiel steht, ist (auch) das (kulturelle) Selbstverständnis einer Nation, die sich mit der Rosenrevolution von 2003 praktisch neu erfunden, die ihre Geschichte und kulturelle Identität „wiedererfunden“ hat. In diesem Prozess haben Theaterkünstler eine nicht unbedeutende Rolle gespielt: als kritische Interpreten der georgischen Umbruchszeit, aber auch als Inszenatoren eines staatlichen Gedächtnistheaters. In der durch einflussreiche Künstlerfamilien dominierten Theaterlandschaft von Tbilissi werden noch heute Produktionen, deren Premieren schon Jahrzehnte zurückliegen, in der jeweiligen „Originalversion“ gespielt, wie Robert Sturuas „Kaukasischer Kreidekreis“ von 1975 oder Michail Tumanischwilis „Bakulas Schweine“ aus dem Jahr 1978. Birgit Kuch, die seit 2005 über die Theaterlandschaft in Tbilissi forscht, beschreibt die älteste dieser Inszenierungen, Kote Mardschanischwilis „Uriel Acosta“ von 1929, ein Stück sowjetischer Theateravantgarde.
Ganz zum Schluss, bevor der Vorhang wieder vollständig unten ist, werden dann noch die Fotos der Ahnen aus dem Bühnenturm heruntergelassen. Die Zuschauer, schon im Gehen begriffen, legen sich mit dem Applaus noch mal so richtig ins Zeug für die da abgebildete Gründergeneration der Produktion, die 1929 unter Kote Mardschanischwili erstmals Karl Gutzkows „Uriel Acosta“ in Georgien auf die Bühne brachte. Mardschanischw...
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