Frank und frei
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, 1990. „Räuber von Schiller“, inszeniert von Frank Castorf. Henry Hübchen als Franz Moor „steigt aus seiner Rolle aus“: Er kommt an die Rampe und meint, er habe keine Lust mehr, den Franz zu spielen, seit Ewigkeiten dasselbe …
Ich war völlig perplex: Zum ersten Mal und wahrhaftig empfand ich, dass die vierte Wand durchbrochen wurde. Eines wurde mir jedoch nicht klar: War es der Schauspieler Henry Hübchen, der keine Lust mehr hatte, diese Rolle zu spielen? Oder war hinter der Rolle des Franz, sozusagen stellvertretend für alle Schauspieler, die diese Rolle jemals gespielt hatten, auf einmal jemand erschienen, der sich darüber beschwerte, dass er seit über hundert Jahren diese Rolle zu animieren hat?
Als Zuschauer war das meine persönliche „performative Wende“. Danach bin ich in jede Castorf-Aufführung gepilgert – nicht nur in die an der Volksbühne, sondern auch in „Stella“ am Schauspielhaus Hamburg, „Paris, Paris“ am Deutschen Theater Berlin, und ebenda auch in „Hermes in der Stadt“ von Lothar Trolle. Zu dieser Zeit arbeitete ich mit Einar Schleef, und auf den Proben ging es oft um die Frage, ob Schleef jetzt zu Castorf ans Haus gehen würde. Das wäre in der Tat ein Coup gewesen. Stattdessen...