3.1. Barockes Traumtheater
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Wie sehen nun die rhetorischen Elemente des Traumes genau aus, und inwiefern sind sie der barocken Sprache vergleichbar? Immer wieder betont Freud in der »Traumdeutung«, dass »der Traum (fast) nie geordnete Erinnerungen aus dem Wachleben, sondern nur Einzelheiten aus demselben übernimmt, die er aus ihren gewohnten psychischen Verbindungen reißt, in denen sie im Wachen erinnert werden.« (Td 69) Erlebnisse des Tages werden vom Traum als »Rohmaterial behandelt, zerstückelt, leise verändert, vor allem aber aus dem Zusammenhang gerissen« (Td 196), um dann als Einzelteile kaleidoskopartig neu gefügt zu werden. Auf diese Weise erzeugt der Traum »Mischbildungen« (Td 321), beispielsweise die Mischpersonen, die einem nachts gerne begegnen und die aus besonders auffälligen Bruchteilen verschiedenster »realer« Personen – aus körperlosen Organen mithin – zusammengesetzt sein können. Bereits dieser grundlegende Mechanismus bildet sich also erstaunlich exakt auf die »monströsen Montagepraktiken« des Barock ab. Traumgebilde sind zunächst einmal nichts anderes als ein gleichzeitiges Nebeneinander anamorphotischer Sichtbarkeiten.
Bemerkenswerterweise vergleicht Freud die Simultantechnik der Traumarbeit mit Raffaels »Schule von Athen« (1510/1511) und damit zugleich mit einem bestimmten Bildtypus der Renaissance:
Er (der Traum) gibt logischen Zusammenhang wieder als Gleichzeitigkeit. Er verfährt darin ähnlich wie der Maler, der alle Philosophen oder Dichter zum Bild einer Schule von Athen...