1.1. Zwei Typen von Souveränität
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Wie kann man die politischen Dimensionen genauer fassen, die mit der optischen Falte verbunden sind? Das folgende Kapitel versucht, diese Frage entlang einer ausführlichen Lektüre von Shakespeares »Maß für Maß« zu beantworten. Es geht dazu in sechs großen Schritten vor: Zunächst werden zwei historische Typen von Souveränität charakterisiert, die den beiden Seiten der Falte korrespondieren und deren widersprüchliches Verhältnis letztlich dramaturgisches Zentrum und Motor von Shakespeares Komödie darstellt (1). Zweitens werden die besonderen historischen und epistemologischen Gegebenheiten des elisabethanischen Theaters und seiner Bühnenform skizziert (2). Der dritte Abschnitt widmet sich dem dramaturgischen Verlauf von »Maß für Maß« und analysiert die optischen Phänomene, aus denen sich, ähnlich wie im Fall Hamlets, die beiden Figuren des Statthalters Angelo und des Herzogs Vincentio zusammensetzen (3). Der vierte Teil beleuchtet im Rahmen eines Exkurses exemplarisch eine der folgenschwersten medialen Erfindungen der frühen Neuzeit, die in »Maß für Maß« mitverhandelt wird: die Praxis der doppelten Buchführung (4). Teil fünf führt anhand der Figur Angelos ausführlich in jenen Problemkomplex ein, der die folgenden Kapitel durchziehen wird: in die Krise der Genealogie um 1600 (5). Am Ende und zugleich als sechster Abschnitt des Kapitels wird daraus die Frage resultieren, inwiefern die heutigen »permissiven« Gesellschaften ihren Ahn und...