Sondergruppen innerinstitutionell
von Christoph Nix
Erschienen in: Theaterrecht – Handbuch für Theatermacher (05/2019)
Assoziationen: Recht
Welche Rechte haben Hospitanten und Praktikanten, Statisten, Kleindarsteller, Schauspiel- und Gesangsschüler?
Wer hat Anspruch auf eine Bezahlung des Mindestlohns?
Welche Besonderheiten gelten für Bühnentechniker, Choristen und Tänzer?
Theaterpraktikum und Mindestlohn: In § 22 formuliert das neue Mindestlohngesetz (MiLoG) den persönlichen Anwendungsbereich. Das ist von der gängigen Gesetzessystematik her eher ungewöhnlich, wird der Anwendungsbereich in der Regel doch zu Beginn eines Gesetzeswerkes zu finden sein. In § 22 MiLoG finden wir nunmehr die Rechtsfigur, die in der Regel nichts verdient, jedoch im Boom der Kreativwirtschaft ihren festen Platz als kreatives Prekariat gefunden hat. Gemäß der UNESCO-Definition für Kulturberufe arbeiten geschätzte 1,4 Millionen Menschen in Deutschland im Kultursektor, wobei sechzig Prozent abhängig beschäftigt sind, aber nur zwölf Prozent in die Künstlersozialkasse einzahlen.
Der Praktikant – ob bezahlt oder nicht – leistet zeitlich befristete Arbeiten, die jedoch immer bezogen sein müssen auf eine zukünftige Ausbildung. Sei es, dass erst die Zulassung zum Studium erfolgt, wenn ein Praktikum absolviert wurde, oder erst die Prüfung abgelegt bzw. das Examen erlangt werden kann, wenn ein Praktikum nachgewiesen wurde. Der Unternehmer verpflichtet sich, Gelegenheiten zu geben, sich das erforderliche Wissen – also Informationen, Unterlagen und Material – aus dem Betrieb zu verschaffen, ohne dass ihn eine konkrete Ausbildungspflicht trifft. Für Praktikanten, die nicht dem MiLoG unterliegen sollen, hat § 22 Abs. 1 MiLoG vier alternativ zu prüfende Ausnahmetatbestände formuliert:
– Praktika, unabhängig von der Dauer, soweit sie verpflichtend aufgrund von Schul-, Hochschul- oder anderen Ausbildungsordnungen verlangt worden sind, oder Praktika von bis zu drei Monaten, soweit sie zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums dienen.
– Weiterhin ein Praktikum von bis zu drei Monaten während einer Berufsausbildung oder eines Studiums, wenn nicht zuvor bereits ein Praktikum mit demselben Auszubildenden bestand, oder wenn ein Praktikum eine Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54 a SGB III bzw. Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 ff. BBiG darstellt.
Bereits die erste Alternative wirft in der Praxis unterschiedliche Probleme auf, wenn es um die Auslegung des Begriffs der Verpflichtung geht. Zahlreiche Regieinstitute, wie z. B. die Otto Falckenberg Schule in München, verlangen vor Antritt des Studiums längere Praktika. Andere Hochschulen raten lediglich dazu an oder verlangen unspezifisch theaterpraktische Tätigkeiten und auch die Bundesagentur für Arbeit empfiehlt Studienanfängern Praktika. Auch wenn kein Praktikum vor Studienbeginn vorgeschrieben ist, kann eine Entscheidung dafür sinnvoll sein. Denn so können Sie Ihre Motivation und Eignung für das geplante Studium und die spätere Berufstätigkeit überprüfen. Bei der Suche nach Praktika sind z. B. die Praktikumsämter oder Career Services der Hochschulen behilflich.
Haben wir es hier mit einer Verpflichtung zu tun, so greift die erste Alternative problemlos. Ist die Studienordnung aber hinsichtlich des Praktikums nur empfehlend, so kann – soll das MiLoG nicht greifen – nur ein Orientierungspraktikum von maximal drei Monaten erfolgen. Rät die Hochschule zu einer längeren praktischen Tätigkeit, so haben wir eine Gesetzeslücke, die ggf. durch Analogie zu schließen wäre. Auf die Theater kommt bei ihren Praktikanten eine höhere Entlohnungspflicht zu. Das mag gerecht und gewollt sein, dennoch bleibt eine große Rechtsunsicherheit besonders bei den Orientierungspraktikanten.
Freiwillige Praktikanten werden verstanden als für ein Unternehmen Tätige, die keine Arbeitsleistung schulden, aber auch eine angemessene Vergütung erhalten sowie Anspruch auf Mindesturlaub haben. Sie werden über die Berufsgenossenschaft unfallversichert und haben Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis. Sie dürfen in keinem Fall die Drei-Monats-Grenze überschreiten.
Vor allem die GDBA hat jüngst in einem Statement darauf hingewiesen, dass die Kommunen in Deutschland deutliche Haushaltsüberschüsse aufweisen. Skandalös sei es angesichts der kommunalen Einnahmesituation, „dass an vielen Häusern anfallende Tarifsteigerungen von den Rechtsträgern – in der Regel den Kommunen – nicht übernommen werden. De facto kommt das einer Kürzung des Etats gleich“, heißt es in der Pressemitteilung. Das Statistische Bundesamt hatte für das Jahr 2017 einen Haushaltsüberschuss von 10,7 Milliarden Euro auf Seiten der Gemeinden und Gemeindeverbände errechnet. Insoweit wären die Theaterträger durchaus in der Lage, den Theatern das Budget zu erhöhen, damit diese auch Statisten den Mindestlohn zahlen und die Praktikantenvergütungen erhöht werden könnten.
Schauspielstudio/Opernstudio: Die Möglichkeit, ein Schauspielstudio zu gründen, haben in der Regel nur die Staatstheater. In Städten, in denen eine Hochschule für Schauspielkunst oder Musiktheater existiert, werden Kooperationsformen geschaffen. Oft handeln aber die Hochschulträger mit den Intendanten keine guten Arbeitsbedingungen aus. Die Vergütung für Studierende ist uneinheitlich geregelt. Hochschulen und Intendanzen haben sich hier um keine transparenten Lösungen gekümmert. Es gäbe genügend Möglichkeiten: Hochschule und Theater könnten z. B. einen Rahmenvertrag schließen, in dem auch die Vergütung geklärt ist, oder Theater könnten sich auf dem Wege der Selbstbindung entscheiden, Schauspielschülern die Mindestgage zu zahlen oder maximal zwanzig Prozent in Abzug zu bringen. Hier ist eher eine politische Lösung als eine rechtliche Lösung gefordert. Es sei denn, die Schüler werden noch unter Mindestlohn bezahlt. Solche Verhältnisse sollten Sie dokumentieren.
Statisten und Komparsen: Komparsen oder Statisten sind Darsteller, die meist stumme Nebenrollen spielen, die nach vorgegebenen Inszenierungen und Anweisungen aufzutreten haben. Aber auch hier hat sich viel verändert: Ganze Statistengruppen werden zu eigenen chorischen oder choreografischen Ensembles. Zum Aufgabenbereich der Statisterie kann es auch gehören, dass einzelne Mitglieder sich untereinander bewegen können und auch eigene Texte haben, also aus der Menge herausgehoben werden (BOSchG 7/67).
Oft sind Statisten begeisterte Laienspieler, die glücklich sind, im Theater spielen zu können. Aber betrachtet man die sogenannten Bürgerbühnen, so fällt auf, dass sie ganze Häuser füllen und zum Teil fest in den Spielplan eingebunden sind. Ob es einem in der Theaterleitung gefällt oder nicht, hier ist auch eine Bezahlung nach Mindestlohn zu prüfen. Denn es ist eben nicht nur Hobby, sondern konkrete Arbeit. Die Arbeitnehmereigenschaft ist gegeben, wenn die Statisten fest im Spielplan sind, zu festen Zeiten erscheinen müssen, denn so stellt ihre Tätigkeit eine Arbeitsleistung dar. Mindestlohn ist hier Voraussetzung.
Besteht aber das Theater nicht auf feste Arbeitszeiten und sieht von allen fixierten Formen ab, nimmt es auch hin, wenn Statisten nicht erscheinen oder aber zu spät erscheinen, so liegt in der Regel allenfalls ein freier Dienstvertrag vor, der auch mit einer Pauschale abgegolten werden kann. Es gibt in der Rechtswissenschaft auch die Auffassung, dass es einen Arbeitsvertrag besonderer Art geben kann, dessen Inhalt aber speziell vereinbart werden muss. Wenn hier ein freies Dienstverhältnis vorliegt, ist zu prüfen, ob Lohnsteuer und Sozialversicherung zu zahlen sind. Hier besteht rechtlich noch erheblicher Klärungsbedarf.
Besonderheiten bei Bühnentechnikern
Die Bühnentechniker, die unter den Tarifvertrag des NV Bühne fallen (§ 1 Abs. 3 Unterabs. 1, 2), werden in zwei Gruppen eingeteilt. Es gibt geborene Bühnentechniker (meist die Leiter der Abteilungen Malsaal, Kostüme, Maske oder Ton) und gekorene Bühnentechniker (z. B. Beleuchtung, Requisite und auch Ton), wenn mit ihnen im Arbeitsvertrag vereinbart wird, dass sie überwiegend künstlerisch tätig sind. Diese Vereinbarung bzw. der Abschluss dieser Vereinbarung unterliegt nicht der Mitbestimmung eines Personal- oder Betriebsrates. Hier gibt es häufig Streitfälle.
Nach § 63 unterliegen Bühnentechniker einer besonderen Mitwirkungspflicht. Sie können jederzeit verpflichtet werden, auch Bühnentätigkeiten auszuüben, die nicht zu ihrem Fachgebiet gehören. Auch Requisiteure sind demnach verpflichtet, die Bühne eines Theaters zu räumen oder zu säubern, wenn dies für den Spielbetrieb notwendig ist. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt wenigstens vierzig Stunden. Sie kann aber auch mit bis zu 46 Stunden vereinbart werden. Überstunden sind allerdings nur Überschreitungen der vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit, soweit diese nicht innerhalb der Spielzeit oder den anschließenden Theaterferien ausgeglichen werden können. Die Aufteilung der Arbeitszeiten in zwei Teile des Arbeitstages ist möglich und entspricht den Arbeits- und Probezeiten der Solisten. Ruhe- und Urlaubszeiten sowie die Regelung über freie Tage sind in den §§ 66 ff. NV Bühne nachzulesen.
Besonderheiten bei Mitgliedern des Chores und des Tanzes
Die Mitglieder von Opernchören (§ 1 Abs. 1 und 4 NV Bühne) sind tariflich besser abgesichert als viele Solisten. Ihre Aufgabenvielfalt und zugleich ihre Mitwirkungspflichten finden sich in § 71 NV Bühne: Gesang auch in anderen Kunstfächern, Übernahme solistischer Partien, Sprechchor, kleine Schauspielrollen sind nur einige Beispiele. Eine eigenständige Leistung ist sondervergütungspflichtig.
Die Dauer der unterschiedlichen Proben ist genau geregelt (z. B. Chorprobe mit Orchester: zweieinhalb Stunden), ebenso die Ruhezeiten und die freien Tage (§ 73). Anders als bei den Solisten ist die Chorvergütung in Gagenklassen klar geregelt. Die Vergütung besteht aus der Gage und der Zulage und ggf. den Sondervergütungen (§§ 76 ff.). Die Gagenklassen des Chores sind abhängig von der Eingruppierung der Orchester in die Kategorien A bis D. Sie lagen im Jahre 2016 zwischen 2527 Euro und mindestens 3338 Euro plus Zulagen und Sondervergütungen.
Zwar können auch Opernchormitglieder nicht verlängert werden, aber der Prozess der Nichtverlängerung ist komplizierter und schützt das Opernchormitglied umfangreicher (vgl. § 83 ff.): Der Chorvorstand muss beteiligt und angehört werden, unverzüglich müssen dem Opernchormitglied die Gründe genannt werden. Diese sind auch unter Beweis zu stellen. Es ist also weitaus schwieriger, ein Opernchormitglied nicht zu verlängern als eine Solistin oder einen Solisten.
Die Sonderregelungen über Tänzer finden sich in den §§ 84–97 NV Bühne. Erfasst werden hier die Tanzgruppenmitglieder und auch die mit Soloverpflichtung. Auch von Tänzern werden Sprech- und Gesangsleistungen verlangt, wie von Choristen Tanzleistungen verlangt werden können. Die Gagenklassen der Tänzer entsprechen in etwa denen des Chores (§ 89 NV Bühne). Bis heute haben es die Tarifparteien, aber auch der Gesetzgeber nicht geschafft, für Tänzer, die wegen Alters ausscheiden oder wegen körperlicher Mängel, eine finanzielle Übergangslösung zu finden – sei es im Anspruch auf die Finanzierung einer neuen Berufsausbildung oder aber in einer besonderen Form der Zusatzrente. Solch eine Regelung gab es für Tänzer in der DDR.