100 Jahre Theater am Domhof
Eine Chronik
von Carsten Steuwer
Erschienen in: Gegen den Alltagsstaub – Theater in Osnabrück – 100 Jahre Theater am Domhof (08/2009)
Assoziationen: Theatergeschichte Niedersachsen Theater Osnabrück
Von der Vorgeschichte bis zum Startschuss
»1. Wegen der hohen kulturellen und sittlichen Bedeutung, die ein gutes Theater für alle Klassen der Bevölkerung hat. 2.Mit Rücksicht auf diewirtschaftliche Bedeutung für Osnabrück [...].«
Mit diesen und anderen Argumenten sprachen sich Magistrat und Bürgermeister imJahre 1905 für den Bau eines Theatergebäudes aus. Eine Entscheidung,die denWünschen der Osnabrücker Bürger entgegenkam; schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sie das Theaterleben in der Stadt angekurbelt. Als die damalige Spielstätte, der Marstallflügel im Schloss, 1818 geschlossen wurde, suchte man ein neues Gebäude. Das war mit dem»Waisenhof« an der Großen Gildewart gefunden. Die Stadt konnte aber die dringend erforderlichen Renovierungsarbeiten nicht bezahlen. So sprangen einige Theaterfreunde in die Bresche und sammelten 5000 Taler unter der Osnabrücker Bürgerschaft zur Gründung des »Actien-Theater in Osnabrück«. 1832 konnte das »Actien-Theater« schließlich sein renoviertes Haus beziehen. Die Stadt hatte ihr erstes festes Theater.
Am 15. August 1882 beschloss der Magistrat der Stadt, das »Actien-Theater« als Stadttheater zu übernehmen. Bereits Monate zuvorwar das erste Mal über einen Theaterneubau verhandelt worden. Doch die nicht endenwollenden Diskussionen über den Standort und vor allem die fehlenden Geldquellen »vertagten den projektierten Neubau auf unabsehbare Zeit«. Die stetig steigende Einwohnerzahl (1882 etwa 30 000; 1905 etwa 60 000) und diewachsenden Bedürfnisse an einmodernes Theater hielten die Diskussion und die Bemühungen um einen Neubau wach. Um das nötige Geld dafür aufzubringen, kamen immer wieder findige Ideen zutage. So beschloss der Stadtrat 1892 gar, den »Kaiserpokal« für 250 000 Mark zu verkaufen. Die Staatsbehörde legte jedoch ihr Veto ein.
Entscheidende Schritte zum Neubau erfolgten schließlich 1905. Ein Bürgerkomitee von 30 Bürgern aus Osnabrück und der Region rief zu einer umfangreichen Spendenaktion auf. Nach einigen Monaten hatte man 175 000 Mark (!) zusammen. Das Komitee setzte demMagistrat die »Pistole auf die Brust«: entweder sofortiger Entschluss der Stadt für ein neues Theater bei gleichzeitiger Schenkung der gesammelten 175 000 Mark oder die gesamte Summe werde zurückgezogen. Am 31. Oktober 1905 beschloss der Magistrat der Stadt einstimmig den Bau des neuen Stadttheaters. 1907 einigte man sich auf den Standort. In die engere Auswahl kamen der heutige Natruper Torwall und die Fläche des ehemaligen Ratsgymnasiums am Domhof. Das Ergebnis ist bekannt. Den ersten Entwurf für das Theater fertigte der Theaterfachmann Professor Martin Dülfer. Den darauf basierenden Kostenvoranschlag empfand man aber als zu hoch, weshalb der Stadtbaumeister Friedrich Lehmann mit dem
Projekt beauftragt wurde. Viele der Ideen von Dülfer finden sich jedoch im heutigen Theatergebäude wieder, wie zum Beispiel der Jugendstil. Am 29. September 1909 wurde das Theater am Domhof mit der Vorstellung von Shakespeares »Julius Caesar« eröffnet. Das Theater fasste 799 Plätze. Der erste Intendant – damals mit der Bezeichnung »Direktor« – war Carl Ulrichs; und das gleich für die nächsten 16 Jahre.
Von den Anfangsjahren bis zur Weimarer Republik
Mit Eröffnung des Theaters am Domhof bekam Osnabrück auch ein eigenes Ensemble. Im Theater an der Gildewart hatte man zuvor den Spielplan mit »wandernden Inszenierungen « in Kooperation mit Münster, Detmold und Pyrmont gemeistert. Intendant Carl Ulrichs war den Osnabrückern bereits als Regisseur bekannt. Er galt als Mann, der Land und Leute kannte und es verstand, mit seiner Spielplangestaltung die Zuschauer ins Theater zu locken. Seine Vorliebe galt der Oper, insbesondere den Werken Richard Wagners. Im Schauspiel bevorzugte er lockere Schwänke und Klassiker. Schiller- Freunde kamen in Osnabrück in einen besonderen Genuss: Unter Ulrichs Intendanz wurden alle Theaterstücke des Weimarer Klassikers inszeniert.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte auch für das Osnabrücker Theater Schwierigkeiten. Viele Orchestermitglieder und zahlreiche Schauspieler wurden verpflichtet, in den Krieg zu ziehen, und das Theater litt zunehmend unter Personalnot.
Zu Beginn des Krieges schloss man das Theater für kurze Zeit; auch ging man davon aus, dass der Wunsch nach darstellender Kunst während des Krieges gering sei. Das Gegenteil sollte sich jedoch herausstellen. Gerade in den Kriegsjahren war die Nachfrage am Theater größer als zuvor. Die Spielstätte wurde also wieder geöffnet, und das dezimierte Ensemble bot in der schweren Zeit des Krieges vor allem Singspiele und Volksstücke. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war eine Zeit der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Deutschland brachte seine erste Republik hervor und hatte gleichzeitig bis 1923 mit der Inflation zu kämpfen. Der verlorene Krieg hatte auch Auswirkungen auf das Bewusstsein der Menschen in Osnabrück und auf das Theater: Der Eindruck der heilen Bürgerwelt war getrübt. Auf der Bühne wurden wieder mehr naturalistische Autoren wie Gerhart Hauptmann und Frank Wedekind gespielt. Nach der Spielzeit 1924/25 verabschiedete sich Carl Ulrich in den Ruhestand.
Die ersten Intendantenwechsel und die Theaterunion mit Münster
Mit der Spielzeit 1925/26 trat Dr. Otto Liebscher als neuer Intendant sein Amt an. Auch er hatte mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen: Nach einem kurzen wirtschaftlichen Aufschwung stiegen die Arbeitslosenzahlen wieder. Das Interesse am Theater nahm ab. Dies war ein Trend in ganz Deutschland. In Osnabrück schien das Publikum aber überdies die Spielplan-Veränderungen unter dem neuen Intendanten nicht anzunehmen. Mit Liebscher bekamen vor allem zeitgenössische Stücke mehr Gewichtung, ohne jedoch auf die Klassiker zu verzichten. Die Weltwirtschaft steuerte indes auf eine globale Krise zu, und in Osnabrück gab es immer mehr Befürworter für eine Schließung des Theaters. Sie erhitzten sich über die städtischen Zuschüsse von 500 000 Mark, die das Theater jährlich bekam. Liebscher wollte unter diesen Umständen nicht in Osnabrück bleiben und folgte 1929 einem Ruf ans Theater Lübeck.
Mit der Spielzeit 1929/30 trat Erich Pabst die Nachfolge von Liebscher an. Um die Finanzen des Theaters zu konsolidieren, wollte er die Zahl der Abonnenten erhöhen. Es folgte eine bis dahin beispiellose Werbeaktion für »Theater-Dauerkarten « mit dem Aufruf »Rettet das Theater«. Die Zahl der Abonnenten stieg auf 4000, und Osnabrück schaffte es diesbezüglich an die Spitze aller westdeutschen Theater. Auch große Teile der Osnabrücker Bürgerschaft wurden wieder einmal aktiv, um ihr Theater zu retten. So tingelte zum Beispiel das Schülerorchester des Ratsgymnasiums musi zierend durch die Stadt, um Spenden für das Theater zu sammeln. Dennoch blieb die Unsicherheit über die Zukunft der Osnabrücker Bühne, was Pabst 1931 veranlasste, nach Augsburg zu gehen. Sein Nachfolger, Dr. Fritz Berend, war in Osnabrück bereits als Erster Kapellmeister tätig gewesen. In seinem zweiten Jahr als Intendant übernahm er eine bis heute einmalige Mission: die Leitung der Theaterunion zwischen Münster und Osnabrück. Die sah eine Zusammenarbeit beider Häuser vor. Theaterproduktionen und Bühnenbilder wurden ausgetauscht, um Kosten zu sparen. Doch Berend sollte die ihm anvertraute Aufgabe der Spielzeit 1932/33 nicht zu Ende führen ...
Theater im Nationalsozialismus
Die Machtergreifung Hitlers warf ihre Schatten auch auf das Osnabrücker Theater. Auf Reichsebene richteten die Nationalsozialisten Institutionen ein, die das gesamte Theaterleben »gleichschalten« sollten: Zum 1. April 1933 nahm die Thea terabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) ihre Arbeit auf. Ziel war es, alle Theaterangestellten sowie die Spielpläne aller Bühnen in Deutschland zu kontrollieren. Der aus einer jüdischen Familie stammende Osnabrücker Intendant Dr. Fritz Berend erhielt am 4. April 1933 seine Entlassung als Erster Kapellmeister. Formal behielt er noch seine Position als Intendant. Als Kommissar wurde ihm jedoch der nationalsozialistisch gesinnte Oberspielleiter der Oper beigestellt – Dr. Walter Storz. In einem internen Schreiben an Hans Hinkel vom 6. April 1933 informierte Storz den Staatskommissar, dass es wahrscheinlich bald einen Intendantenwechsel geben werde. Und er machte kein Geheimnis daraus, wie der letzte Schritt zum »Intendantensturz« aussehen sollte: »konzentrierte Propaganda « und Suggestion. Berend verstand die Zeichen der Zeit und reichte am 26. April die Bitte ein, auch als Intendant beurlaubt zu werden. In Münster konnte Berend noch mindestens bis Herbst 1935 weiterbeschäftigt werden.
In die Spielzeit 1933/34 ging das Osnabrücker Theater mit einem neuen Namen: Deutsches Nationaltheater Osnabrück. Die Theaterunion mit Münster wurde aufgehoben. Den imposant klingenden Namen hatte das Theater nach Einschätzung von Insidern Storz’ guten Beziehungen in die nationalsozialistische Kulturetage von Berlin zu verdanken. Sämtliche Stücke, die das Deutsche Nationaltheater Osna - brück spielte, waren vom RMVP zu genehmigen. 1937 wechselte Walter Storz an das Theater nach Stettin. Sein Nachfolger wurde der politische Gesinnungsgenosse Curt E. Nuernberger. Ab 1940 reiste das Osnabrücker Theater immer häufiger zur »Truppenbetreuung« in die Niederlande. Am 24. August 1944 verkündete Reichsminister Goebbels, dass sämtliche Theater bis zum 1. September zu schließen seien. So wurde das Osnabrücker Theater im letzten Kriegsjahr zu Filmvorführungen genutzt. Am 25. März 1945 fiel das Theater am Domhof bei einem Luftangriff den Bomben zum Opfer. Übrig blieben nur noch die Grundmauern.
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Als am 4. April 1945 britische und kanadische Truppen in Osnabrück einmarschierten, war die Stadt ein Trümmerhaufen. Der durchschnittliche Zerstörungsgrad von Osnabrück lag bei 68,5 Prozent. Hunger, Mangel an Unterkünften und Überfälle waren nur ein Teil der widrigen Alltagsumstände jener Tage. In einer solchen Situation war an Theaterspielen zunächst nicht zu denken. Außerdem hatte die für Osnabrück zuständige britische Militärregierung ein Kulturverbot verhängt. Dennoch ging in Osnabrück der Vorhang schon bald wieder auf. Die Grundlage hierfür schuf die britische Militärregierung, als sie im Juli 1945 das Verbot kultureller Betätigung wieder aufhob.
Am 18. September 1945 wurde der Theaterverein Osnabrück gegründet, der bis heute das Theater unterstützt. Der Verein beteiligte sich unter anderem am Aufbau der Theater GmbH, die bereits am 4. Oktober durch Oberbürgermeister Petermann offiziell eingerichtet worden war. Das Amt des Intendanten übernahm der Bielefelder Regisseur Dr. Hanspeter Rieschel. Er erhielt von der britischen Militärbehörde die obligatorische Genehmigung, Theaterstücke, Operetten, Opern und Konzerte zur Aufführung zu bringen. Zusätzlich mussten alle Aufführungen bei der »No. 30 Information Control Unit« in Hannover genehmigt werden, denn Theater sollte als Vermittler von integrer Moral positiv auf die deutsche Bevölkerung einwirken.
Da das Theater zerbombt war, galt es nun eine Übergangslösung zu finden. Hierfür richtete man das stehengebliebene Foyer des Theaters am Domhof behelfsmäßig als eine Kleinbühne für etwa 150 Zuschauer ein. Am 1. Dezember 1945 gab es hier die Premiere von Mells »Apostelspiel«. Zwei Monate später kam die Bühne im Saal des Restaurants »Blumenhalle « als zweite Aufführungsstätte dazu. Der Winter der Spielzeit 1946/47 fiel dermaßen hart aus, dass die Theaterleitung das Publikum bitten musste, Holz oder anderes Material zum Heizen mitzubringen. Mit der Spielzeit 1947/48 übernahm die Stadt Osna - brück das Theater wieder ganz und entlastete damit die Theater GmbH vor allem finanziell. Einen kleinen Dämpfer erhielt das wiedererblühende Kulturleben durch die Währungsreform von 1948. Finanzielle Probleme und schwindende Zuschauerzahlen waren die Folge. Intendant Rieschel ließ sich beurlauben. Der Dramaturg Heinrich Buchmann übernahm zusammen mit Friedel Rabe als Interimslösung das Theater.
Am 24. Mai 1949 kam der Stadtrat zu dem Schluss, dass der behelfsmäßige Anfang des Stadttheaters nun nicht mehr den neuen Ansprüchen genüge: Die Blumenhalle sollte geschlossen, das Theater am Domhof wiederaufgebaut werden. Das bisherige Personal wurde entlassen. Ein Teil der Künstler griff jedoch zur Selbsthilfe und gründete das Lortzingtheater. Geleitet wurde es von Axel Kreuzinger. Nach anfänglichen Erfolgen musste das privat geführte Theater jedoch im Mai 1950 aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Dank des Engagements der Künstler gab es in der Spielzeit 1949/50 keine Theaterpause in Osnabrück. Im September 1950 begann der Spielbetrieb im wiederaufgebauten Theater am Domhof. Zum neuen Intendanten hatte die Theater GmbH einen alten »Bekannten« bestimmt: Erich Pabst. In der ersten Spielzeit nach der Wiedereröffnung erzielte das Theater einen Zuschauerrekord: 220 000 Zuschauer.
Theater in der Zeit des »Wirtschaftswunders«
Die Wahl des neuen Intendanten, der das Stadttheater bereits von 1929 bis 1931 geleitet hatte, sorgte zu Beginn für viel Wirbel. In seiner ersten Amtszeit hatte Pabst dem Theater künstlerisch wie wirtschaftlich wichtige Impulse gegeben und auch durch seine diplomatischen Fähigkeiten beeindruckt. Proteste gegen ihn entstanden aus der Tatsache, dass er das künstlerische Personal des Lortzingtheaters für eine Weiterbeschäftigung am Domhof weitgehend ausschloss. Dies sei anders besprochen gewesen, sagten die Künstler.
Fragwürdig war für weite Teile der Bevölkerung wohl auch die Tatsache, dass sich Pabst im Nationalsozialismus systemkonform gezeigt und die Kunstförderung des Regimes gelobt hatte. Sein künstlerisches »Know-how« und seine Fähigkeiten als pragmatischer Theaterleiter aber waren unbestritten. Die Proteste gegen Pabst und gegen die Stadt - verwaltung beruhigten sich kurz nach seinem Amtsantritt.
Charakteristisch für das Theater am Domhof wurden im Folgenden die hohen Zuschauerzahlen, ein Anstieg der Mitglieder der Besucherorganisation innerhalb weniger Jahre (von 400 auf 2500) und die Intensivierung von Gastspielen, und zwar sowohl von auswärtigen Theatern in Osnabrück als auch vom Osnabrücker Ensemble in der Region (u. a. Diepholz, Rheine, Nordhorn). Mit der Saison 1953/54 kam ein weiterer Spielort für das Stadttheater dazu: die »Kammerspiele im Schloß«. Zuvor, Anfang der fünfziger Jahre, war auch die »Studiobühne« im Ratsgymnasium bespielt worden. Während der Spielzeit 1955/56 starb Erich Pabst an einem Herzinfarkt. Zehn Monate vorher feierte er in Osna - brück sein Jubiläum: 25 Jahre ununterbrochene Intendantentätigkeit an verschiedenen Bühnen in Deutschland (darunter auch Münster, Augsburg und Berlin). Die laufende Spielzeit führte der Bankdirektor Wilhelm Steinhäuser als kommissarischer Leiter zu Ende. Neuer Intendant wurde Günter Meincke. Er intensivierte die Gastspiele des Osnabrücker Thea ters und erreichte in der Spielzeit 1956/57 prompt einen neuen Rekord mit 37 Abstechern. Das Schauspiel öffnete sich nun – unter Beibehaltung der Klassiker – stärker den zeitgenössischen Stücken. Im Großen und Ganzen setzte Meincke in seinen vier Jahren in Osnabrück aber die Marschroute seines Vorgängers fort.
Die nächsten großen Veränderungen kamen ab 1960 mit Peter Maßmann – ein Intendant, der 1948/49 im Osnabrücker Theater schon als Schauspieler auf der Bühne gestanden hatte und anschließend in Gelsenkirchen als Schauspieler, Regisseur und stellvertretender Generalintendant tätig war. Maßmann engagierte ein festes Opernensemble. In den Jahren zuvor waren die Operaufführungen entweder mit Gästen oder mit eingekauften Produktionen bestritten worden. Durch das feste Ensemble konnten nun fünf statt wie bisher nur drei Opern pro Jahr gezeigt werden. Des Weiteren setzte Maßmann in Osnabrück seine Idee vom Open-Air- Theater auf dem Rathausplatz um. Zusätzliche finanzielle Mittel gab es von der Stadt dafür keine. Maßmann aber ging das Risiko ein. Für die »Rathausspiele« wurde jeden Sommer eine Tribüne für 1000 Zuschauer auf dem historischen Marktplatz aufgebaut. Der Erfolg war so groß, dass sich die »Rathausspiele« finanziell selber trugen. Zur Aufführung kamen bis 1968 jedes Jahr entweder ein deutscher oder ein spanischer Klassiker; die Rathausspiele existierten bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre. In der Spielzeit 1964/65 kam es zu einem Austauschgastspiel zwischen Weimar und Osnabrück. Osnabrück war damit nach dem Theater Frankfurt das zweite westdeutsche Theater, das eine Kooperation mit einer Bühne aus der DDR einging. Prägnant waren auch die räumlichen Veränderungen des Theaters: Das angrenzende Haus »Dütting« wurde von der Stadt für das Theater gekauft. Die Theaterleitung zog um, es wurden Werkstätten und ein weiterer Probenraum errichtet, eine Kantine wurde in Betrieb genommen, und das künstlerische und technische Personal bekam verbesserte Garderoben und ein Konversationszimmer. 1968 ging Peter Maßmann nach Aachen. Zu den festen Neuerungen, die er zurückließ, gehört auch der alljährliche »Bühnenball«, der 1966 gestartet war.
Neue gesellschaftliche Strömungen: »altes« und »junges« Publikum
Mit der Spielzeit 1968/69 übernahm Jürgen Brock das Theater. Bezüglich der Zuschauerzahlen erlebte das Theater einen weiteren Boom. Die Auslastung lag in seiner 13-jährigen Amtszeit zwischen 75 und 90 Prozent, häufig buchten die Abonnenten bereits zu Beginn der Spielzeit einen Großteil der Plätze. Dennoch geriet Brock Ende der siebziger Jahre in die Kritik. Das Theater solle kritischer und zeitgemäßer sein, meinten vor allem Universitätskreise und einige Politiker. 1969 ersetzte das Theater die Spielstätte im Ratsgymnasium durch das sogenannte »Studio 99« in der Stadtkasse am Markt – gespielt wurde hier bis 1979. Außerdem gab es gelegentlich Auftritte im Haus der Jugend und in der Lagerhalle. 1972 baute die Stadt das Theater um: Das Foyer, die Kassenhalle und die Publikumsgarderoben wurden neu gebaut. Außerdem gab es nun auch eine zweite Probebühne. 1979 verabschiedete ein neu zusammengesetzter Stadtrat den »Theater- und Kulturentwicklungsplan«. Auf seiner Grundlage entstand die Idee, ein Kinder- und Jugendtheater einzurichten. Ziel war es, auch das junge Publikum für Theater zu begeistern. Das sollte unter anderem durch mehr zeitgenössische Autoren erreicht werden. Als Nachfolger von Jürgen Brock erlebte Dr. Erdmut Christian August 1982 die Einweihung des emma-theaters. Die Studiobühne mit ihren Proben- und Nebenräumen wurde auch das Zuhause des 1979 neu gegründeten Kinderund Jugendtheaters. Mit einem eigenen Ensemble war es auch mobil unterwegs. Bei Gastspielen in Schulen nahm es theaterpädagogische Aufgaben wahr und leitete interessierte Kinder beim Spielen eigener Szenen an. Mit Krisztina Horváth, der neuen Leiterin des Tanztheaters, vollzog sich in Osnabrück zudem der Wechsel vom Ballett zum modernen Tanztheater. Neben der Pflege des bisherigen Programms bestimmten unter Erdmut August verstärkt zeitgenössische Autoren den Spielplan. 1987 erhielten die Städtischen Bühnen Osna - brück zum ersten Mal mit »Die Seidels (Groß & Gross)« eine Einladung zu den Mülheimer Theatertagen. In der Spielzeit 1985/86 wurde das Theater saniert und der Zuschauerraum umgestaltet. Die seitlichen oberen Sitzplätze (dort war der Blick schlecht) kamen weg; außerdem installierte man eine bequemere Bestuhlung. Während der Schließzeit verlagerte sich der Spielbetrieb in die Stadthalle und in ein Zirkuszelt im Schlossgarten.
Der nächste große Umbau und die Zuwendung zu neuen Spielstätten
Einen weiteren großen Umbau erlebte das Theater am Domhof in den Spielzeiten 1995/96 und 1996/97. Für 35 Millionen Mark wurde »grundsaniert«. Vor allem die Situation der Probenräume verbesserte sich für alle Sparten. Außerdem wurde die Bühnentechnik erneuert. Für diesen Umbau hatte sich der seit der Spielzeit 1990/91 tätige Intendant Norbert Kleine Borgmann stark gemacht. Ihm gelang es, Politiker wie den damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und Umweltministerin Angela Merkel auf die Bedürfnisse des Osnabrücker Theaters aufmerksam zu machen. Mehr als zwei Drittel der Kosten für die umfangreichen Umbauten wurden vom Land Niedersachsen bezahlt. Für zwei Spielzeiten muss - te das Theater am Domhof schließen. Bis Mitte 1997 diente als Ausweichspielstätte ein Kuppelzelt im Schlossgarten. Der scheidende Intendant Kleine Borgmann konnte die Wiedereröffnung am Domhof nicht als Leiter erleben. Das war seinem Nachfolger Norbert Hilchenbach in der Spielzeit 1997/98 vergönnt. Hilchenbach setzte bei der Auswahl des Spielplans, sowohl im Schauspiel als auch im Musiktheater, konsequent auf »Tradition« und »Moderne«. Unter dem Tanztheaterleiter Gregor Zöllig entwickelte sich eine Truppe, die über die Grenzen Osnabrücks hinaus bekannt wurde. Charakteristisch war auch die Suche nach neuen Spielorten. So gab es unter anderem Inszenierungen in einem Osnabrücker Kaufhaus, im Landgericht und auf dem Bahnhofsgelände. Auch wurde die Kooperation mit Aufführungen in der »Lagerhalle«, die es schon in den siebziger und achtziger Jahren gegeben hatte, intensiviert. Großen Erfolg hatte das eingeführte »Nachtfoyer«. Hier gab es zu später Stunde »lockere Einblicke« in kommende Produktionen. Spannungen entwickelten sich hinter den Kulissen: Als rigorose Sparmaßnahmen der Stadt drohten, machte Hilchenbach sehr deutlich, dass er dies nicht hinnehmen würde.
Theater der Gegenwart
Die Spielzeit 2005/06 begann mit mehreren Veränderungen und einem echten Knaller. Schon vor seinem Amtsantritt als neuer Intendant warb Holger Schultze in Stadt und Land Osnabrück für die kommende Spielzeit und die Neugründung eines Kinder- und Jugendtheaters. Mit Erfolg: Anfang 2006 startete das Kinder- und Jugendtheater OSKAR. Das Besondere: OSKAR wird zum großen Teil von den Bürgern der Stadt und ihren Spenden finanziert.
Spektakulär war die Spielzeiteröffnung mit dem Festival »Spieltriebe«: Über zwölf Ur- und Erstaufführungen wurden an einem Wochenende gezeigt. Die Zuschauer machten dabei eine »Theatertour« und wurden zu ungewöhnlichen Spielorten gefahren. Alle zwei Jahre beginnt seitdem die Spielzeit mit den »Spieltrieben«. Der Schwerpunkt liegt dabei auf zeitgenössischer Dramatik. Im Jubiläumsjahr des Theaters am Domhof gibt es bereits die dritte Ausgabe des Festivals. Auffallend ist die bundesweite Beachtung, die das Thea ter Osnabrück derzeit findet. Nie zuvor wurde das Osnabrücker Theaterschaffen mit so vielen Auszeichnungen und Einladungen geehrt. So wurde das Theater Osnabrück 2007 unter anderem zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen (das erste und bis dahin letzte Mal war das 1987 der Fall, siehe oben), und es gab mehrere Nennungen in den Theater zeitschriften Theater heute und Die Deutsche Bühne. Unter anderem wurde dort die künstlerische Leistung des Tanztheaterleiters Marco Santi geehrt. Zu den weiteren Besonderheiten zählt die Theaterpartnerschaft mit dem Theater im bulgarischen Russe (seit 2008). Seit neuestem fördert die Kulturstiftung des Bundes für drei Jahre zahlreiche gemeinsame Aktivitäten der beiden Theater.
Der breite Zuspruch für das Theater Osnabrück und seine große Ausstrahlung lässt die Einschätzung der Osnabrücker Stadtväter von 1905 bezüglich der Notwendigkeit des Theaters am Domhof heute so aktuell wie damals erscheinen:
»1. Wegen der hohen kulturellen und sittlichen Bedeutung, die ein gutes Theater für alle Klassen der Bevölkerung hat. 2. Mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedeutung für Osnabrück [...].«laus Fröhlich
Literatur und Quellen:
Reinhard Krollage: Theater in Osnabrück – »Ein Tollkühnes Wagnis«. Bühnengeschichte 1771 bis 1909 vor der Eröffnung des Hauses am Domhof, Osna - brück 2004 Städtische Bühnen Osnabrück (Hg.): Weiterspielen. Osnabrücker Theaterarbeit von 1945–1984, Osnabrück 1984 Karl Kühling: Theater in Osnabrück im Wandel der Jahrhunderte, Osnabrück 1959 Stefan Hüpping: Von den Städtischen Bühnen zum Deutschen Nationaltheater Osnabrück, Duisburg 2006 Carsten Steuwer: Die Wiederbelebung des Theaters nach dem 2. Weltkrieg, in: Heimat-Jahrbuch für das Osnabrücker Land, Belm 2001 Carsten Steuwer: Das Deutsche Nationaltheater Osnabrück. Die Integration des Theaters in die Nationalsozialistische Kultur- und Propagandamaschinerie, in: Historischer Verein (Hg.): Osnabrücker Mitteilungen 2001, Bd. 106, Osnabrück 2001 Gerd Steinwascher (Hg.): Geschichte der Stadt Osnabrück, Osnabrück 2006 Städtische Bühnen Osnabrück (Hg.): Da war doch was. Städtische Bühnen Osnabrück 1990–1996, Osnabrück 1996 Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück