4 Fazit: die performative Funktion sprechkünstlerischer Phänomene
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Durch den Einsatz der sprechkünstlerischen Gestaltungsmittel als sprechkünstlerische Phänomene wird eine ästhetische Erfahrung im Theater bzw. Sprechen als Erlebnis überhaupt erst möglich. Hier eröffnet sich in der Form ein Inhalt. Die Form verändert die Wahrnehmung der Zuschauerinnen und Zuschauer. Um sich auf die Suche nach dem „Inhalt der Formen“ zu begeben, wie Heiner Goebbels es formuliert, nach dem, „was die Formen mit uns machen“ (Goebbels 2012, 8), muss ein/e Schauspieler/-in ein hohes Bewusstsein für die Formen besitzen. Zu ihnen gehören im Bereich des Sprechens die materiellen Bestandteile der Sprache und des Sprechens, also sämtliche segmentalen und prosodischen Mittel. Die Ausstellung einzelner dieser materiellen Bestandteile, wie die Pause oder das Sprechtempo, thematisiert zum einen den Wahrnehmungsprozess und macht Inhalte gleichzeitig erlebbar. Für den Schauspieler bzw. die Schauspielerin bedeutet das, sich dieser Prozesse bewusst zu sein sowie die materiellen Bestandteile des Sprechens nicht nur repräsentativ, im Dienst des Ausdrucks einer bestimmten Haltung, sondern auch phänomenal zu gebrauchen.
Die Beschreibung eines normabweichenden Gebrauchs einzelner sprechkünstlerischer Mittel, sodass sie den Status von sprechkünstlerischen Phänomenen erreichen, soll ein handwerkliches Bewusstsein für einen phänomenalen Gebrauch von Sprache eröffnen. In einem phänomenalen Gebrauch von Sprache steht das Sprechen nicht im Dienst der Repräsentation eines dramatischen Konflikts, der...