Die Hochzeitsreise (und andere Reisen)
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
1996 habe ich, wenn ich mich recht erinnere, das erste Mal ein Stück von Frank Castorf gesehen. Und falls ich mich nicht irre, war es das Jahr meiner ersten Reise nach Berlin. Die Erinnerung an dieses Datum hat etwas zutiefst Melancholisches: Ich ahnte damals nicht, dass sie die erste in einer langen Reihe von Berlin-Reisen sein sollte. Und Castorf war damals auch noch nicht der Regisseur Castorf, als der er heute bekannt ist.
Bei dem Stück handelte es sich um die „Hochzeitsreise” des russischen Autors Wladimir Sorokin. Man führte uns zu einem seltsamen Theater: dem Prater. Ich sprach zu jener Zeit kaum Deutsch und es liegt auf der Hand, dass ich zu dem Stück wenig sagen kann. Indes richtete ich meine Aufmerksamkeit, gerade weil ich die Sprache nicht beherrschte, auf andere Elemente. Auf alles. Auf ein allgemeineres Bild der Situation. Berlin war für mich in diesem Moment eine konkret gewordene Illusion, die sich schon lange vorher in meiner Vorstellung verfestigt hatte. Und die losen Teile des Stücks stimmten (Sprachebene und einfachste Beschreibungen außen vorgenommen) mit diesem touristischen Eindruck überein: ein verwüstetes Theater, schmutzig, eine einzige Baustelle, mit einem armen, aber erfinderischen Bühnenbild. Pappkartons eines tief in ein sagenumwobenes Ostviertel gerichteten...