Theater der Zeit

Zwischenrufe

Das verqualmte Herz

von Mehmet Ateşçi

Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)

Assoziationen: Maxim Gorki Theater Burgtheater Wien

2. Berliner Herbstsalon (2015) – Tohubassbuuh von bankleer – Mehmet Ateşçi
2. Berliner Herbstsalon (2015) – Tohubassbuuh von bankleer – Mehmet AteşçiFoto: Ute Langkafel

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Der Raucherschlauch war für mich und für viele andere auch das Herz des Gorki Theaters. Hier, in diesem schmalen Verbindungsraum zur Kantine mit seinen wenigen ­Tischen und Stühlen, haben wir die Vorgespräche und vor allem auch die Nachgespräche geführt, nach Proben, nach Vorstellungen, hier haben wir über Ideen und Projekte diskutiert. Das Leben hat dort stattgefunden, noch mal anders als auf der Bühne. Wir haben uns der Qual dieses verqualmten Ortes gefügt, den es so nicht mehr gibt, um zu diskutieren und zusammen zu sein. Neben der Bühne war es der einzige Raum, wo alle Gewerke sich getroffen haben, ein Begegnungsort zwischen den Techniker*innen und den künstlerischen Teams, den Schauspieler*innen.

Als ich schon wusste, dass ich am Gorki anfangen werde, habe ich mir eine Vorstellung in der vorherigen Intendanz von Armin Petras angeschaut, mit einem Kollegen, der zum Ensemble gehörte. Danach saßen wir im Raucherschlauch, und er sagte zu mir: Schau dich um, hier wirst du arbeiten. Das ist dann dein Ort, deine Kanine. Aber ich hätte nie gedacht, dass es so ein zentraler Ort wird für mich, für uns.

Die Techniker*innen saßen immer in der Ecke, mit oder ohne Bier, mit Leberwurststulle, viele alteingesessene Ostberliner*innen, anfangs skeptisch und reserviert uns gegenüber. Schroff und hart. Aber mit großem Herz. Ich habe viel gesungen in den Produktionen am Gorki, im Durchschnitt bestimmt vier oder fünf Songs pro Stück. Für mich war es besonders, dass die Techniker*innen auf der Seitenbühne oder im Schnürboden oft zugehört und mir gesagt haben, wie schön sie das fanden, dass sie die Lieder noch mal hören wollen. All diese Mitarbeiter*innen im Hintergrund, die oft eine viel längere Geschichte mit dem Haus hatten als wir, haben mir genau so viel bedeutet wie die Kolleg*innen auf der Bühne. Gerade durch sie, die kaum gesehen werden, ist eine große familiäre Liebe, eine Unabdingbarkeit entstanden.

Es gab viele Nächte, in denen ich im Theater übernachtet habe. Das Gorki war eben nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern auch ein Lebensort. Ich musste mich oft entscheiden, ob ich den langen Heimweg noch antreten möchte, der mir Schlafenszeit raubt, oder mich in der Garderobe hinlege, um morgens gleich weiterzuarbeiten. Manchmal bin ich nachts aufgeschreckt, wenn der Wachmann seine Runde durch die Gänge gemacht hat. Geweckt wurde ich oft von den Ankleider*innen, diesen großartigen Frauen, die wie Mütter waren, wie sehr nahe Familie, sich um alles sorgend, uns auffangend und raus in die Welt schickend.

Ich finde kaum Worte dafür, wie dankbar ich diesen ­Menschen bin, diesen Begegnungen. Überall im Haus.

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