Wahrnehmungsmuster und Vorstellungskraft
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Höreindrücke werden gefiltert, in Muster codiert und mit den bereits gespeicherten Hörmustern verglichen. „Wir hören eine Stimme immer nur, wie sie uns erscheint – nie, wie sie an sich ist.“107 Unser Erfahrungshintergrund und unsere Erwartungen beeinflussen unsere Wahrnehmung. Auch im gestischen Sprechen hängt der funktionale und pathische Nachvollzug der Sprechweise der Studierenden von der Hörerfahrung und Erwartungshaltung der Lehrer ab, so sehr sie sich auch um Objektivität bemühen. Soziokulturelle Muster scheinen die Wahrnehmung also zunächst einzuschränken. Andererseits ermöglicht uns dieses selektierende Hören, Menschen an ihrer Stimme und Sprechweise wiederzuerkennen und aus einem Stimmengewirr herauszuhören. Für die soziale Interaktion ist das ein Vorteil. Da Klang- und Sprechmuster so eng an das Verhalten geknüpft sind, lassen sich Denk- und Verhaltensweisen von Figuren durch Nachahmung oder Assoziation von Nachahmung erarbeiten und wiederholen. Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, ist sowohl bei der Produktion als auch bei der Perzeption gesprochener Sprache soziokulturell geprägt. Die Unterschiede dieser Prägung sind vielfältig, können aber erkannt und bis zu einem gewissen Grade erlernt werden. Es kann uns also gelingen, unsere Wahrnehmung zu erweitern und zu öffnen für das Unbekannte, Unerwartete. Es gelingt uns, da wir in vergleichbaren Mustern wahrnehmen und uns in vergleichbaren Mustern äußern. Der...