Abschied
A.M.D.G.
Zum Tod des Intendanten Gerard Mortier
von Sven Hartberger
Erschienen in: Theater der Zeit: Für eine kurze, lange Minute – Die Schauspielerin Valery Tscheplanowa (05/2014)
Assoziationen: Akteure
Memoiren zu schreiben wäre Gerard Mortier nie in den Sinn gekommen, auch nicht, wenn er hundert Jahre lang gelebt hätte. Der Weg des Bäckerbuben aus Gent an die Spitze der internationalen Opernwelt war einfach keine Geschichte, die er interessant fand oder die er hätte erzählen wollen. Mortier ging es um Grundsätzliches, nämlich um die Frage des Platzes der Kunstform Oper im Leben der Menschen des 21. Jahrhunderts, um ihre Bedeutung für alle Arten von Konflikt und Gemeinschaft zwischen Menschen, im Großen wie im Kleinen, und um die Verantwortung des Musiktheaters im politischen und gesellschaftlichen Kontext.
In seiner „Dramaturgie einer Leidenschaft“ gibt er Rechenschaft über die Überlegungen und Haltungen, welche Grundlage seiner mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Arbeit als künstlerischer Leiter großer europäischer Opernhäuser und Festivals waren. Ebenso wenig wie ein gültiges Bild von Mortiers Schaffen durch eine Aufzählung der Stationen dieser Laufbahn gezeichnet werden könnte – vom Flandernfestival und der Deutschen Oper am Rhein über das in einem Jahrzehnt von Mortier aus der Randständigkeit in den Mittelpunkt des internationalen Opernlebens gerückte Théâtre de la Monnaie (1981 – 1991); zu den von ihm neu gedachten und neue erfundenen Salzburger Festspielen (1992 – 2001); seine Verwandlung des Ruhrpotts in ein geistiges Zentrum...