Bespielen, durchbrechen und verlassen
von Rainer Simon
Erschienen in: Recherchen 101: Labor oder Fließband? – Produktionsbedingungen freier Musiktheaterprojekte an Opernhäusern (02/2013)
Der Diversität an ästhetischen Positionen entsprechend scheiden sich die Geister in der Frage nach der Eignung traditioneller Guckkastenbühnen für freie Musiktheaterproduktionen: Heiner Goebbels begrüßt eine Konzentration der Publikumswahrnehmung auf die Bühnengeschehnisse und begreift eine Distanz zwischen Bühne und Zuschauern als Grundlage dafür, dass jene souveräner und freier mit dem Wahrgenommenen umgehen können. Folglich hält er den Guckkasten für eine große historische Errungenschaft und für seine Musiktheaterarbeiten als geeignet. Eberhard Kloke hingegen sieht im Guckkasten ein anachronistisches Phänomen, das an das klassische Repertoire des 19. Jahrhunderts gekoppelt und daher für aktuelles, freies Musiktheater inadäquat sei – alternative Formate erforderten alternative Räumlichkeiten. Obgleich die Mehrzahl der anderen Befragten zu ähnlich kontroversen Beurteilungen des Guckkastens kommen – so begreift David Moss ihn als „Schmuckkästchen“ voller Möglichkeiten, während Barrie Kosky auf seine Beschränktheit hinweist und Sebastian Baumgarten eine Abneigung gegenüber seiner „Illusionsmaschinerie“ formuliert – ziehen sie aus diesen gegensätzlichen Einschätzungen letztlich doch ähnliche praktische Konsequenzen: Es gelte mit den Erwartungen der Zuschauer – egal, ob sie einem Schmuckkästchen entspringen oder der Illusionsmaschinerie geschuldet sind – zu spielen und sie zu unterlaufen. Auch für einige Kritiker des Guckkastens wird dieser somit als starkes, unflexibles Hindernis zum produktiven Reibungspunkt.
Da die Freiheit freier Projekte auch eine...