Magazin
Geschichten vom Herrn H.: Heul leise, Lars
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Rechte Gewalt – Esra Küçük und Milo Rau im Gespräch (04/2020)
Die Berlinale: roter Teppich, Promitrubel und Mediengewusel. Vor einer Stellwand mit Werbung für einen verbrecherischen Automobilkonzern und ein skandalumwittertes Kosmetikimperium sitzt Lars Eidinger. Auf der Berlinale ist er in zwei Hauptrollen zu sehen, als KZ-Kommandant und als Starschauspieler an der Berliner Schaubühne. An eben jener Schaubühne feierte er kurz zuvor Premiere mit einem neuen Stück – einzige und damit Hauptrolle: er selbst. Zur Pressekonferenz ist er ohne seine 550-Euro-Designertasche im Aldi-Look gekommen, mit der er sich vor einem Obdachlosenlager hatte ablichten lassen. Ist die Welt für ihn nichts weiter als eine Kulisse für seine Auftritte? „Unsere Gesellschaft“, so sagt Eidinger, sei „dermaßen vergiftet von Hass und Missgunst“, doch er kämpfe wacker dagegen an und trage „die Liebe in die Welt“. Während dieser Ansprache kullern ihm die Tränen über die Wangen. Ist das der echte Lars Eidinger? Oder spielt er nur? Aber wen – den KZ-Kommandanten oder den Starschauspieler? Ich bin verwirrt.
Insbesondere verwirrend finde ich die Aussage, unsere Gesellschaft sei vergiftet (hört man zurzeit ja öfter). Wer macht denn so etwas, eine Gesellschaft vergiften? Und vor allem: Welche Gesellschaft lässt denn so etwas Blödes mit sich machen, sich einfach vergiften zu lassen, wenn es ihr vorher offenbar so viel besser...