Essay
Polyphonie oder Esperanto
Das europäische Theater der Umbildung des Johan Simons
Erschienen in: Arbeitsbuch 2023: Johan Simons – Dialog mit dem Tod (07/2023)
Assoziationen: Europa Wissenschaft
Ein Theater der Umbildung. Mit diesem von Brecht für sein Berliner Ensemble geprägten Begriff1 könnte man auch das Theater des Johann Simons bezeichnen. Es kann beispielhaft stehen für ein Theater, das sich aus der Tradition des in Stadt, Staat oder Nation verankerten Theaters herauslöst, ohne dieses einfach hinter sich zu lassen. Als dezidiert europäisches Theater entwickelt es sich parallel zu einem Nachdenken der Philosophen über Europa, das seinen Ausgang nimmt vom Enden der Geschichte2 – zumindest jener Geschichtsphilosophie, die Europa als Inbegriff einer archeoteleologischen Erfolgsgeschichte begriffen hat.3 Genau deshalb aber kann es nach der Zukunft des mit dem Namen „Europa“ gegebenen Versprechens anders neu fragen. Simons wiederholtes Bekenntnis zu Europa bzw. zum europäischen „Versprechen“, so die Hypothese dieses Aufsatzes, prägt unübersehbar den Stil der Inszenierungen, die er zunächst mit seiner eigenen Gruppe Hollandia, später vor allem im Rahmen deutschsprachiger großer Stadt- und Staatstheater auf die Bühne bringt. Das soll im zweiten Teil exemplarisch an vier Arbeiten gezeigt werden, die auf der Bühne an der Dekonstruktion der seit dem
18. Jahrhundert in Deutschland dominanten Theaterform arbeiten – und dies unter dem Vorzeichen von dessen Öffnung. Doch das Bekenntnis zu Europa prägt auch die Neuausrichtung der von ihm...