Es geht noch immer um den Realismus
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Georg Lukács’ nachgetragener Beitrag zur großen Realismusdebatte, die in den 1930er Jahren von der Sowjetunion angestoßen wurde, versammelt seine Kerngedanken zu einer realistischen Kunst in kapitalistischen Zeiten. Für heutige Leser ist der Gang durch »Es geht um den Realismus« ein ungewohnter Weg, da er mit allen eingeübten Denkweisen bricht. Die von Lukács beschriebenen Illusionstechniken, mit denen das Kapital seine Interessen verschleiert und zur hegemonialen Erzählung umformt, sind inzwischen so widerspruchslos gültig, dass jeder Versuch von Kritik an der glatten Oberfläche der Gegenwart abgleitet. Der Text ist ein Dokument des sozialistischen Denkens, das sich noch auf Augenhöhe mit den Brutalismen des Kapitalismus befand.
Fast hundert Jahre später reibt man sich verwundert die Augen, wie entwickelt die Kritik kapitalistischer Kunst einst war und wie fern uns dieses Selbstbewusstsein gerückt ist. Die Einwände könnten darum heute umso wahrer sein, je unverständlicher sie erscheinen mögen. Die Lektüre des Textes ist darum nicht nur eine Einübung in die Kritik der Verhältnisse, sondern auch eine Provokation des zeitgenössischen Geschmacks. Was Lukács als Realismus beschreibt und fordert, ist das kategorische Gegenteil von allem, was die Gegenwartskunst produziert und was von der Kunstkritik als wertvoll gelobt wird.
Gehen wir für einen Moment zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurück, die...