Stählern musste man werden
von Milo Rau
Erschienen in: Die Enthüllung des Realen – Milo Rau und das International Institute of Political Murder (11/2013)
Wir redeten noch eine Weile so weiter, bis wir beide unabhängig voneinander merkten, dass es an der Zeit sei, damit aufzuhören. Wir verabschiedeten uns, indem wir uns versprachen, uns demnächst anzurufen, um uns zu verabreden, und ich las wieder Luhmann. „Man muss darauf gefasst sein“, schrieb Luhmann in seinem unnachahmlich verkrampften Stil, „dass es in absehbarer Zeit zu atomaren Explosionen kommen wird, die den Erdball verwüsten. Das wäre zweifellos ein markantes, einschneidendes, epochenwirksames Ereignis. Vorher und Nachher ließe sich deutlich unterscheiden.“
Als ich diese Sätze las und sich vor meinem inneren Auge Atompilze türmten, packte mich ein unwiderstehliches Verlangen nach den 80er Jahren. Ich hatte seit 1989 nicht mehr an die Atombombe gedacht, und da war ich gerade zwölf Jahre alt gewesen. Helligkeit, Wut und eine kraftvolle Traurigkeit um die Welt durchtosten mich. Datenströme rasten mein Rückgrat hinunter, verkrampften die Unterschenkelmuskeln und richteten die Zehenspitzen himmelwärts.
Wie ein Süchtiger griff ich nach Meineckes „Mode & Verzweiflung“ und las sein berühmtes Pamphlet, mit dem er – ohne es damals selber zu wissen – im Jahr 1981 das glorreiche kybernetische Jahrzehnt eröffnet hatte: „Nur die dümmsten und also die meisten unserer Generationsgenossen machen uns immer wieder den Vorwurf, Faschisten oder Kommunisten zu...