Meine Lieder
von Nurkan Erpulat
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Zwanzig Jahre postmigrantisches Theater, neun Jahre Shermins Intendanz am Gorki. Das sind nur Zahlen, aber dahinter steht für mich eine Geschichte. Eine Geschichte voller Erfolge und Misserfolge, von Vorwürfen, die wir uns anhören mussten, von Vorurteilen, die wir überwunden haben. Meine erste Arbeit als Theatermacher hat Shermin 2006 im Rahmen des Festivals „Beyond Belonging“ produziert. Damals ist Faked entstanden, ein Stück über Menschen in Berlin, die etwas anderes sein wollen, als sie sind, und sich neue Identitäten zulegen. Für Shermin gab es von Anfang an Geschichten, die unbedingt erzählt werden mussten, weil sie noch nicht auf einer Bühne erzählt worden waren. Es war für sie ganz selbstverständlich, dass Muslim*innen über ihre Sexualität sprechen, der Türsteher von seiner inneren Zerrissenheit berichtet, schwule Türken über türkische Schwule schimpfen. Um damit über uns zu erzählen. Über uns alle.
Zum ersten Mal waren andere Geschichten auf der Bühne, andere Figuren, andere Protagonist*innen. Aber eben nicht: die anderen. Als ich Lö Bal Almanya am Ballhaus Naunynstraße inszeniert habe, ging es mir darum, Texte, Reden und politische Entscheidungen über Migrant*innen, die im kollektiven Gedächtnis bleiben sollten, aber nicht geblieben sind, mit den wunderbaren deutschen Volksliedern zu verbinden. Um zu zeigen, dass dies ein Teil der deutschen...