Trott des Theaters
von Heinz B. Steffen
Erschienen in: Theater der Zeit: Über den Surrealismus (01/1947)
Die breite Front der deutschen Durchschnittstheater gerät immer deutlicher in einen schlimmen „Trott“. Man kann verblüfft sein, wie schnell sich diese Entwicklung vollzieht. Wie ist es möglich – so fragt man sich bei nüchterner Betrachtungsweise –, daß das Beharrungsvermögen der Mittelmäßigkeit sogar in der „lebendigsten Kunst“, wie sie das Theater ist, tatsächlich stärker wirkt als die unerhörte Aufwühlung der Erlebniskraft, die in Millionen bereit ist und auf das Wort harrt, das wie eine Fackel in die Seelen hineingeworfen werde? – Dies ist das Bild, das sich bietet: In wildem Tempo vergrößert sich der Abstand zwischen den wenigen avantgardistischen Theatern, die mit hierarchischem Mut in das seelische Neuland vorstoßen, das es unserer Zeit zu erobern gilt, und jener Unzahl im tieferen Sinne provinziellen, gesichtslosen Theater, die die eigentliche Basis der Kulturarbeit zu bilden hätten, aber das verpflichtende und unserem ganzen Volk verpflichtete Amt mit der Unberufenheit eines Kräutersammlers vor dem Operationstisch umschaffen. Heute jedoch gilt es, offen den Einschnitt zu vollziehen, der die Kräfte frei macht, die den künstlerischen Ausdruck der Seele unserer Zeit Gestalt werden lassen! Das Tragische, das unnennbare Grauen, das Ewige selbst hat unser Leben angerührt, wie in der griechischen Sage die Göttin Athene das Haupt des Helden...