Zwischenrufe
Das Wagnis
von Tobias Prüwer
Erschienen in: 70 Jahre Zukunft – Theater der Jungen Welt Leipzig (03/2017)
»In Connewitz, da hat’s geblitzt«: Mich trifft der Blitz, als die ältere Dame mich vorm Herzliya Theater anspricht. Die ehemalige Leipzigerin konnte vor der deutschen Mordlust flüchten und hat vor langer Zeit ein neues Zuhause in Israel gefunden. Nun wartet sie gespannt auf die erste Vorstellung von »Kinder des Holocaust«. Sie war nur eine von vielen älteren Menschen im Publikum, darunter einige ehemalige Leipziger, von denen viele Angehörige durch den Nationalsozialismus verloren haben. Hoch interessiert daran, dass und vor allem wie sich deutsche Jugendliche mit der Shoa auseinandergesetzt haben, besuchen sie die erste Aufführung – was die Anspannung bei den TdJW-Leuten und dem begleitenden Blogger (mir) weiter ansteigen lässt.
Der Holocaust auf der Bühne? Und dann auch noch in Israel? Das TdJW ging das Wagnis ein und machte das Buch »Kinder über den Holocaust« zum Bühnenstoff. Eine knappe Woche waren die jungen Theatermacher im Oktober 2010 in Tel Aviv und gaben drei Aufführungen in der benachbarten Kleinstadt Herzliya. Wie spricht man angemessen über die Opfer, wie mit den Überlebenden der deutschen Vernichtungsmaschinerie? Läuft nicht jedes konkrete Benennen des Grauens darauf hinaus, es zu relativieren oder zu verharmlosen? Und was hat Jugendtheater überhaupt zum Nationalsozialismus zu sagen?
Die Aufführung schließlich verläuft souverän, die besondere Aufregung der Schauspieler ist im Publikum nicht zu bemerken. Der Moment, als die Clowns das erste Mal auftauchen, ist noch einmal heikel: Wie reagiert das Publikum? Die jungen Israelis aber lachen über die Slapstick-Nummer, womit sich die Älteren auseinandersetzen müssen – und es wird klar: Das Stück funktioniert auch hier. Das wird in den Publikumsgesprächen ersichtlich. Oft wurde gelobt, allein der Umstand, dass sich deutsche Jugendliche einen Zugang zum Thema erarbeitet haben, sei produktiv und gut. Manche, gerade Ältere, äußerten gar ihre Dankbarkeit für den Auftritt. Es gab andere Stimmen. So wurde von einer Zuschauerin geäußert, sie sei froh, dass ihre Großmutter das Stück nicht gesehen habe. Eine andere meinte, die Jugendlichen wüssten gar nicht, was während der Shoa geschehen sei und hätten sich solch eine Aufführung vor ein paar Jahren nicht getraut. Ähnliches war bereits in Deutschland zu hören gewesen: »So könnt ihr nicht nach Israel fahren.« Und doch war es gut, gerade dieses Stück hier gezeigt zu haben. Denn wir alle haben ein großes Bündel unterschiedlicher Erfahrungen als Gepäck mit zurücknehmen dürfen. »Change is starting with little things«, brachte es eine Beteiligte zum Ausdruck. Und ja, vielleicht kann Kunst doch etwas bewegen, Theater die Welt ein Stück weit verändern.