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kirschs kontexte: Wer kauft uns das Theater ab?
Düsseldorfer Gedankenspiele
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)
Schreckensmeldung aus Düsseldorf: Wie Ende Oktober zu erfahren war, ist das schon länger nicht mehr bespielbare Schauspielhaus am Gustaf-Gründgens-Platz derart marode, dass SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel bereits darüber nachdenkt, die Sanierung des Traditionshauses einem privaten Investor zu überlassen, der die Immobilie auch anderweitig nutzen könnte. Auch in Frankfurt, Stuttgart und Köln, wo man es mit ähnlichen Halbruinen zu tun hat, gab es Querelen; aber Geisels Gedankenspiel erreicht hier deutlich eine neue Qualität.
Nun steht für mich außer Frage, dass diese Häuser unbedingt gerettet werden müssen und Privatisierungsvorschläge fehl am Platz sind. Allerdings ist es an der Zeit, sich nicht nur zu empören, sondern auch das Menetekel zu erkennen: Gerade wer um den Zustand der städtischen Theaterzentralen besorgt ist, wird sich der Tatsache stellen müssen, dass ihre ruinöse Verfassung sich nicht von einem radikalen Umbau der städtischen Zentren und der (europäischen) Stadtgesellschaften überhaupt trennen lässt, der als solcher nicht rückgängig gemacht werden kann. Im Gegenteil: Dieser Prozess dürfte in den nächsten Jahren nur noch an Fahrt aufnehmen, und wer anderes behauptet, gerät schnell in die Nähe anderer „Besorgter“, wie sie sich seit geraumer Zeit auf dem Theaterplatz (kein Zufall!) in Dresden als „das Volk“ ausgeben.
Umso wichtiger ist darum aber die Erinnerung daran, dass gerade für Theater eine Krise der Zentren nichts Schlechtes bedeuten muss, dass es seine besten Zeiten eigentlich immer dann hatte, wenn es nicht in der Stadtmitte lag. Dabei muss man vielleicht gar nicht an das Shakespeare'sche Globe denken (zumal dieses ja gerade ein privates Unternehmen war). Interessant ist, dass selbst das Theater der antiken Polis, das so häufig als Modell einer sich selbst reflektierenden Stadtgesellschaft beschworen und idealisiert worden ist, ein in viel größerem Umfang „dezentrales“ Modell gewesen sein dürfte als gemeinhin angenommen. Lag das Dionysostheater doch gerade nicht an der städtischen Agora, sondern hatte eine Randlage am Hang. Die ersten zentral-städtischen Theater tauchten erst viel später auf – etwa 55 v. Chr. das Pompeius-Theater in Rom –, sind also wesentlich mit dem römischen Staatserbe verbundene Institutionen. Was aber, wenn gerade dieses Erbe heute brüchiger denn je erscheint?
Es ist absehbar, dass die Verwahrlosung der Bühnenkästen, die nun einmal in unseren Innenstädten stehen, in den nächsten Jahren voranschreiten wird. In dieser Situation werden dringend kluge Konzepte benötigt, mit denen sich entschlossen für den Erhalt dieser Häuser plädieren lässt, ohne dass man dabei auf die alte Wunschvorstellung vom repräsentativen städtischen Zentrum zurückgreifen muss. Ansonsten werden diese Häuser in zehn, vielleicht zwanzig Jahren entweder abgerissen oder zu Festspielorten, privaten Musicalbühnen und Miethallen geworden sein. //