Magazin
Geschichten vom Herrn H.: Ferndiagnose
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Die Spieler – Das Schauspielhaus Bochum (06/2020)
Was wäre das Theater nur ohne Streit und Konflikt – auch ohne Happy End!? Das war schon in der antiken Tragödie als kritische Diagnose einer Gesellschaft gemeint, die falsche Gegensätze statt vernünftiger Auseinandersetzung hervorbringt: Kreon hält Antigone für eine Irre und sie ihn für einen Tyrannen. Der Rest ist bekannt. Das Theater aber kann unterschiedliche Beweggründe verständlich machen. Warum fühlt sich beispielsweise der eine in der körperlichen Unversehrtheit, der andere aber in der politischen Freiheit bedroht? Und warum führt das zu einem Konflikt, in dem man sich gegenseitig des Wahns bezichtigt? So tummeln sich vor der Berliner Volksbühne seit Wochen Menschen auf „Hygienedemos“ der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand. Die Gruppe mit dem hochtrabenden Titel kommt aus dem Umfeld des Hauses Bartleby und der ehemaligen Volksbühnenbesetzer.
Während die Widerständler damals als Kritiker einer neoliberalen Kultur- und Stadtpolitik vom Feuilleton bejubelt wurden, sind sie nun gar nicht mehr gut gelitten. Obwohl die No-Budget-PR-Profis alles wie immer machen. Über deren Beweggründe kann man ebenso diskutieren wie über deren übersteigerte Selbststilisierung. Wenn jedoch die Regierung Gesundheitspolitik per Grundrechtseinschränkungen zu betreiben gedenkt, die Überwachung verstärkt, die Öffnung von Möbelhäusern für wichtiger erachtet als die Versammlungsfreiheit und prompt die Militär- statt die Gesundheitsausgaben erhöht, dann muss man...