Wie eine Festung auf dem Berggipfel, unter dem das lahme Berlin und die Landschaft der leuchtenden Lichter Deutschlands liegen
von Andriy Zholdak
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
Zehn Jahre ist es her. Wir hatten uns auf meinen Wunsch hin spätabends in einem kleinen Restaurant in Berlin verabredet.
Dort traf ich Frank, im hinteren Teil des Restaurants, unter fahlgelber Beleuchtung. Ich kam zu spät und sah Frank mit seiner Freundin. Der Tisch war nicht groß, rund, ihre Gestalten verschmolzen fast mit den ockerfarbenen Gardinen. Kerzenlicht fiel auf Castorf und die Frau. Ich habe gedacht, dass ich wahrhaftig einer Szene aus einer seiner Inszenierungen beiwohne, nur dass er hier selbst ein Teil der Szene war.
„Also, Zholdak, was willst du?“, fragte Frank in seiner Art.
Ich verzichte darauf, unser Gespräch hier im Detail wiederzugeben. Aber ich verrate soviel aus dieser verschollenen Zeit – mitten in unserem Gespräch, nach zwei oder auch drei Weißweinflaschen, sagte ich:
Frank, bitte, verstehe meine Emotionen, es ist wichtig. Du siehst dich nicht von außen. Und vielleicht begreifst du auch die deutsche und nicht nur die deutsche, auch die europäische und globale Theatersituation nicht. Weil du wie ein antiker Bildhauer bist, der sich in einem Steinbruch befindet und große Steine zerschlägt. In diesem Steinbruch meißelst du deine Inszenierungen, die dich und deine Zeit, in der du lebst, verewigen. Aber – jenseits deiner verrückten und ehrlichen...