Theater der Zeit

Auftritt

Hessisches Landestheater Marburg: Die Stimmung trägt Netzhemd

„Drama für den Kopf. (Ein Klamauk)“ von Henriette Seier (UA) – Regie Henriette Seier, Bühne Pauline Malack, Kostüme Phin Mindner

von Joachim F. Tornau

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Hessisches Landestheater Marburg

Sven Brormann, Lisa Grosche und Georg Santner in „Drama für den Kopf“, Text und Regie von Henriette Seier am Hessischen Landestheater Marburg. Foto Jan Bosch
Sven Brormann, Lisa Grosche und Georg Santner in „Drama für den Kopf“, Text und Regie von Henriette Seier am Hessischen Landestheater MarburgFoto: Jan Bosch

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Man könnte auch den ganzen Abend der Souffleurin zusehen. Isa Perski ist eine ältere Dame, grauhaarig, seriös, man würde ihr die gestrenge Lehrerin abnehmen. Mit ihrem Textbuch sitzt sie vorne auf der Bühne, ausnahmsweise einmal im Rampenlicht, und amüsiert sich königlich. Mal grinst sie, mal verkneift sie sich mühsam das Lachen, es ist ein Vergnügen, ihrem Vergnügen zuzuschauen. Aber, um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu lassen, bei Weitem nicht das einzige an diesem Abend.

Im vergangenen Jahr gewann die junge Theaterautorin Henriette Seier, Jahrgang 1993, den erstmals ausgelobten Christian-Dietrich-Grabbe-Förderpreis des Landestheaters Detmold und der Grabbe-Gesellschaft für ihr Erstlingswerk „Drama für den Kopf“. Jetzt brachte sie den 90-Minüter, dem sie in Klammern den entwaffnend ehrlichen Titelzusatz „Ein Klamauk“ verpasst hat, am Hessischen Landestheater Marburg selbst zur Uraufführung. Es ist ein Meta-Text über das Theater, eine Auseinandersetzung mit seinen Eigenheiten und Eitelkeiten, bemerkenswert abgezockt für eine Theatermacherin, die noch am Anfang ihrer Karriere steht. Und sehr, sehr komisch.

„Hallo!“, sagt die Schauspielerin, als sie zu Beginn die Bühne betritt. „Ich bin eine Schauspielerin und ich spreche jetzt einen Text, der Sie berühren soll.“ Über das Leben, die Liebe, die Welt und wie alles miteinander verknüpft sei. Und natürlich: „über unsagbare Dinge, die im Inneren passieren, die aber niemand so recht in Worte fassen kann“. Doch all das gehe halt nur, wenn die Stimmung dafür da sei. Worauf die Stimmung kommt, ganz leibhaftig, eine etwas überdrehte Person, genderfluid in rotem Netzhemd, pink-schwarz geringelten Strumpfhosen und Schnürstiefeln, schnell begeistert und ebenso schnell beleidigt, mit diktatorischen Zügen und viel Überzeugtheit von der eigenen Wichtigkeit.

So geht das los und so geht es weiter. Im verzweifelten Ringen um Sinn und Bedeutung – darum dreht sich im Theater doch alles, oder nicht? – versuchen sich die eher schüchterne Schauspielerin (Lisa Grosche) und die ziemlich rampensäuische Stimmung (Georg Santner) an einer Krankenhaus-Szene, die spätestens in der dritten Runde jeglichen Sinn verliert. Es wird problematisiert, dass niemand im Publikum die „entsetzliche Lücke“ im Text bemerkt, wo die Autorin beim Schreiben nicht weiterkam. Es gibt Watschen für moderne Tanzensembles („ernst und ausdrucksstark“, ist klar), für den Chor des antiken Theaters (graumäusig und neunmalklug) und fürs Publikum, das Kapitalismuskritik selbstverständlich goutiert, aber bitte nicht so lange.

Komplettiert wird das Ensemble durch Sven Brormann, der als vermeintlicher Zuschauer auf die Bühne zitiert wird, um den Regisseur zu mimen. Was er wunderbar halbherzig tut, bis er von den immer unmöglicheren Regieanweisungen, mit denen er gedemütigt wird, die Schnauze voll hat. „Ist es wegen der Sache mit der Hospitantin?“, fragt er noch, Verunsicherung in der Stimme. Dann haut er ab.

„Drama für den Kopf“ ist eher grellfarbiges Kaleidoskop als irgendwohin führende Handlung. Hellsichtig, ein bisschen absurd und in seinem Spott immer liebevoll. Gespielt wird schnell, mit viel Gespür für Witz und Tempo, ohne Angst vorm titelgebenden Klamauk. Die kaum mehr als wohnzimmergroße Studiobühne des Marburger Theaters hat Pauline Malack mit Kaffeemaschine, Badewanne und Inspizienzpult angemessen irre und zugleich zurückhaltend ausgestattet. Für mehr wäre ohnehin kein Platz gewesen. Dominanter ist eh die Leinwand im Hintergrund, auf der zumindest einige der ironischen Kapitelüberschriften aufscheinen. „Die wichtigen Themen“, zum Beispiel.

Die Autorin Henriette Seier nahm beim Schreiben, wie sie selbst sagt, keine Rücksicht auf die Regisseurin Henriette Seier. So stehen auch Herrlichkeiten im Text wie die Regieanweisung, dass die Mitglieder des Chors „in Form von gut gemeinten Ratschlägen“ auftreten. Das wird nun von der Souffleurin vorgelesen (ohne zu lachen). Sicher: Nicht alles sieht man hier zum ersten Mal. Und auch Theaterproduktionen über das Theater hat es schon die eine oder andere gegeben. Aber es mangelt ja auch nicht an gefeierten Romanautor:innen, die es für eine originelle Idee halten, Romanautor:innen zu ihren Hauptfiguren zu machen (looking at you, great american novel).

Für die Regisseurin war die Inszenierung Teil der Abschlussprüfung ihres Masterstudiums der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen. Der Rezensent würde sie mit Bravour bestehen lassen. Und ist nebenbei ganz froh, dass beim „Drama für den Kopf“ eine Gruppe aus der Welt des Theaters gar nicht vorkommt: die Kritiker: innen.

Erschienen am 8.4.2025

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