Theater und Erkenntnis
Eine nicht gehaltene Rede (10. September 1974)
von Adolf Dresen
Erschienen in: Recherchen 93: Der Einzelne und das Ganze – Zur Kritik der Marxschen Ökonomie (05/2012)
Eine nicht gehaltene Rede171
Wenn wir hier über Erfolge reden wollen, dann lassen Sie uns über Außenpolitik, Landwirtschaft oder Sport sprechen. Wenn wir über Theater sprechen wollen, können wir nicht über Erfolge sprechen. Mißerfolg, negative Bilanz, Niedergang sagen wir allerdings nicht gern, wir sagen dann z. B. lieber: „Es verstärkt sich bei den Theaterleuten der Eindruck, daß unser Theaterleben insgesamt nicht auf der Höhe…“ – nachzulesen in den FRAGEN ÜBERLEGUNGEN EMPFEHLUNGEN (Seite 2). Auf diese Art, die Wahrheit zu sagen, komme ich noch zurück.
Wir alle haben das dumpfe Gefühl von Niedergang oder Krise, da können Sie unter den Praktikern nahezu fragen wen Sie wollen. Daß es nicht mehr ist als ein dumpfes Gefühl, liegt vielleicht daran, daß wir mittlerweile schon gar kein Vokabular mehr haben, etwas andres als Positives überhaupt auszudrücken. Oder auch, weil der Niedergang der Kritik, die ihn registrieren müßte, völlig adäquat ist. Das Bier ist kein Bier mehr, was dadurch ausgeglichen wird, daß die Zigarre keine Zigarre mehr ist.
DDR-Theater war einmal Welttheater – durch die Arbeit Brechts und der Generation, die aus der Emigration zurückkam. Wir, die folgende Generation, müssen uns sagen, daß wir den Höhenflug nicht haben halten können, daß wir in Provinzialismus...