„Wir, die wir übrig sind aus den Vorzeiten, tragen etwas in uns, ohne das wir nicht überlebt hätten: das Urvertrauen.“ Wenn die zwei kopftuchtragenden Gestalten auf der Bühne diese Worte aus dem Zuschauerraum hören, stutzen sie zuerst, doch dann lösen sie die nachfolgende Stille in einer rasanten Tanznummer auf. Sie reißen sich inmitten von Lichterketten und Dompteurshockern die Tücher vom Kopf, lassen Hula-Hoop-Reifen um ihre Körper kreisen und jonglieren mit Bällen; sie tanzen, lachen und jauchzen, animiert immer wieder von einem akkordeonspielenden Mann mit Frack und Zylinder. Die Artistin (Barbara Fressner), der Clown (Gerold Ströher) und der Direktor (Arnold Hofheinz) sind dann wieder zurück auf der Kleinen Bühne des Nordharzer Städtebundtheaters in Halberstadt und mit ihnen der Zirkus des Alexander Kluge.
Noch kurz zuvor schilderten die Schauspieler mit angsterfüllter Stimme und aufgerissenen Augen, wie sich der Boden unter der brennenden Martinikirche bewegte, zählten die Cafés und Geschäfte in Halberstadt auf, die der Feuersturm erfasste, warfen mit Papierschnipseln umher und rüttelten an Podesten, um Explosionsrauch und den Donner von Bombeneinschlägen anzudeuten. Der Luftangriff auf Halberstadt am 8. April 1945 war eines der wohl prägendsten Erlebnisse in der Kindheit des bedeutenden Schriftstellers und Filmemachers Alexander Kluge. Aus der Sicht zweier Luftschutzwärterinnen auf...