Risiko als Chance
von Yana Ross
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
Berlin 2006. Noch als Studentin klopfte ich bei fünf großen deutschen Theatern an. Der bevorstehende Regie-Abschluss an der Yale School of Drama machte die Türen der Dramaturgiebüros einen Spalt auf, aber ob dahinter jemand wirklich zuhörte, dafür gab es keine Garantie – und letztlich auch keine Anzeichen. Marius von Mayenburg an der Schaubühne meinte damals, es sei „unmöglich, als junge Regisseurin aus dem Ausland hier in einem großen Theater anzukommen.“ Er hatte recht. Nur Frank Castorf scherte sich nicht um dieses ungeschriebene Gesetz.
Zehn Jahre später, mit rund einem Dutzend Festivaleinladungen und einigen Auszeichnungen in der Tasche, bin ich im Rückblick immer noch erstaunt über Castorfs Entscheidung, mir eine Chance zu geben. Auf ein gänzlich unbekanntes Pferd zu setzen, es in den tödlichen Wettlauf des Alles oder Nichts zu schicken, erscheint mir als geniale Intuition und zugleich wie der Kick eines Süchtigen, der nach dem Risiko giert. Castorf liebt die Gefahr, und eines der gefährlichsten Spiele für Intendanten ist, mit den noch unbekannten Jungen zu spielen – und sie dabei als Anführer des Rudels nicht gleich auch noch aufzufressen. Diese Eigenschaft ist unter den renommierten Regisseuren im Theater der Welt heute äußerst selten.
Im Lauf der Dinge war dann vor...