Sozialexperiment
La moindre des choses
Filmische Berichte über ein Theater jenseits der Perfektion
von Miriam Drewes
Erschienen in: Recherchen 91: Die andere Szene – Theaterarbeit und Theaterproben im Dokumentarfilm (07/2014)
Assoziationen: Dossier: Bühne & Film
Der Mensch ist von Natur aus nicht gut. Um friedlich zusammenzuleben, müssen wir uns von archaischen Verhaltensmustern befreien. Das erfordert viel Arbeit und Selbstkritik, sonst würden wir ja im Paradies leben. Wir können uns dem Ziel immer nur ein bisschen nähern, ganz erreichen wir es wohl nie.1
Mit diesen Sätzen beschreibt der französische Dokumentarfilmer Nicolas Philibert sein pessimistisch grundiertes Welt- und Menschenbild, das sich auch in der Themenwahl seiner Filme niederschlägt, wie er in einem Interview aus dem Jahr 2003 präzisiert: „Ich interessiere mich immer für die Frage: Wie können wir lernen, zusammenzuleben, gemeinsam etwas aufbauen, trotz unserer scheinbar saturierten Existenz?“2 Tatsächlich ist Philiberts Arbeit zum Großteil von Negationen geprägt; diese bilden gleichsam eine Art Antriebsmotor, um zu dem zu gelangen, was man als Dokumentation unterschiedlichster Formen der Empathie als Voraussetzung für das Zusammenleben, genauer gesagt: für das Funktionieren einer Gesellschaft, bezeichnen könnte. Obwohl Philiberts Filme zunächst nicht so aussehen, als sollten sie eine konkrete Botschaft vermitteln – womit der Regisseur etlichen seiner Kollegen folgt, die jegliches Sendungsbewusstsein ablehnen3 –, impliziert seine Aussage erst einmal das genaue Gegenteil. Sie verweist nämlich durchaus auf ein hohes Maß an Funktionalisierung seiner Filme, auf eine Ausrichtung an einer kausalen Zweck-Mittel-Relation und letzten Endes auf die Unterordnung der Filme unter eine moralische Argumentation. Ob dies der Fall ist und, wenn ja, inwieweit sich eine derartige Funktionalisierung filmisch ausgerechnet über die Dokumentation von Theaterproben manifestiert, möchte ich im Folgenden erläutern.
Auch das Theater ist in Philiberts im Folgenden zur Diskussion stehenden Filmen – La moindre des choses (deutsch: „Die kleinste Kleinigkeit“) aus dem Jahr 1996 und Qui sait? (deutsch: „Wer weiß?“) aus dem Jahr 1998 – von Negationen geprägt. Es spielt, obwohl thematisch ständig präsent, keineswegs die Hauptrolle. Es ist auch nicht primärer Inhalt und Anlass der beiden Filme. Es soll nicht das Theater, sondern mit dem Theater etwas anderes gezeigt werden. Die Dokumentation des Prozesses einer Fiktionalisierung bringt dabei ein spannungsreiches Wechselverhältnis zum Ausdruck, das nicht nur grundsätzlich die Beziehung von Realität und Fiktionalität reflektiert. Vielmehr gelingt es Philibert über sein spezifisches filmisches Verfahren, in einem weiteren Schritt die (vermeintliche) Botschaft der Empathie als Voraussetzung für das Funktionieren einer Gesellschaft überhaupt erst zur Diskussion zu stellen. Der jeweilige Probenablauf, der den problematischen Herstellungsprozess einer Aufführung dokumentiert, gekoppelt an die von Philibert spezifisch organisierte Dramaturgie und narrative Anordnung der filmischen Ereignisse, erreicht dabei einen Grad an Reflexivität, der sich einer doppelten Mise en scène verdankt: jener, die durch den Film dokumentiert wird, und der des Films selbst.
Philiberts Verfahren lässt sich als Chiasmus beschreiben. Dieser Begriff aus der rhetorischen Stilistik bezeichnet eine „Überkreuzstellung von syntaktisch oder bedeutungsmäßig einander entsprechenden Satzgliedern, meist als spiegelbildliche Anordnung von Subjekt oder Prädikat oder Substantiv und Adjektiv in zwei gleichgebauten Sätzen in der Folge oder in zwei parallelen Stufen“4. Der Chiasmus lässt damit nicht nur im übertragenen Sinn die wechselseitige Aufeinanderbezogenheit seiner beiden Teile (sichtbar) stehen, er hebt diese auch nicht in einer gedanklichen Synthese auf. Das wiederum zeigt an, dass sich ein möglicher Widerspruch zwischen den beiden syntaktischen – oder, wie im vorliegenden Fall, medialen – Elementen nicht zwangsläufig auflösen muss. Im Folgenden geht es deshalb immer auch um das Erhellen der wechselseitigen Beziehung von Fiktionalität und Realität, von Anwesenheit und Abwesenheit, um sowohl theatrale als auch filmische Aspekte, die sich häufig – und hier könnte man sagen ausschließlich – über die Intermedialität von Film und Theater entfalten.
Theater und Psychiatrie
Nicolas Philiberts Dokumentarfilm La moindre des choses
Im ersten Beispiel, La moindre des choses, dokumentiert Philibert den Entstehungsprozess einer Aufführung des 1966 entstandenen Theaterstücks Operette des polnischen Dramatikers Witold Gombrowicz. Dabei handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Theaterprojekt, denn das Personal des aufzuführenden Stückes, die Teilnehmer der Aufführung, sind Patienten der psychiatrischen Klinik La Borde. Dieses besondere Setting schien einer Dokumentation des Probenprozesses erst einmal entgegenzustehen, weshalb Philibert den Probenprozess zunächst auch gar nicht filmisch begleiten wollte: Wie sollte er sich den Patienten einer Klinik annähern, die noch dazu einer antipsychiatrischen Therapiepraxis folgt, also selbst schon genug Anlass und Stoff zur Diskussion psychiatrischer Methoden liefert und gerade dazu einzuladen scheint, in einem Dokumentarfilm oder vielleicht besser in einer Fernsehdokumentation vorgestellt zu werden? Wie sollte er, der nie mit psychisch kranken Akteuren gearbeitet hatte, sich den Patienten unbefangen annähern und darüber hinaus seinem Stil und Anliegen als Filmemacher treu bleiben?5
Bemerkenswert ist, dass Philibert auch hier den Weg der Negation wählt. La moindre des choses ist kein Porträt über die Insassen einer psychiatrischen Klinik und schon gar keine Aufzeichnung über richtige und falsche Behandlungsmethoden und Therapieformen.6 Einen ganz entscheidenden Unterschied zu einschlägigen Dokumentarfilmproduktionen, der nicht ohne Einfluss auf das oben angesprochene Wechselverhältnis von Realität und Fiktionalität bleibt, findet sich zunächst in dem Umstand, dass La Borde als Klinik der sogenannten Antipsychiatrie bekannt geworden ist. Sie wurde im Jahr 1953 in der Nähe der Stadt Cour-Cheverny im Loire-Tal von Jean Oury mit dem Ziel eröffnet, eine alternative Form der Psychiatrie zu entwickeln: Die Patienten wurden bzw. werden dort nicht als Kranke weggesperrt, sondern gestalten den Klinikalltag mit; sie haben Anteil an sämtlichen Arbeitsabläufen – vom Rezeptions- bis zum Küchendienst. Darüber hinaus ist die strenge Trennung zwischen Therapeut und Therapiertem abgeschwächt. Das Modell hat die institutionalisierte Psychotherapie seither stark beeinflusst, aber auch Kritik provoziert.
Einer der maßgeblichen Mitstreiter Ourys bei seinem Bemühen, La Borde zu einer Ausbildungsstätte für Psychologen, Philosophen, Ethnologen und Sozialarbeiter werden zu lassen, war der Psychoanalytiker Félix Guattari. Ohne den Einfluss des Poststrukturalismus auf Philiberts Film überbewerten zu wollen, ist die Beteiligung Guattaris am Projekt La Borde nicht zu unterschätzen: Die Schriften, die dieser zusammen mit Gilles Deleuze verfasste, verdanken ihre gesellschafts- oder auch ideologiekritischen Aspekte ganz entscheidend den Erfahrungen, die Guattari in La Borde gesammelt hatte.7 Zu nennen ist hier vor allen Dingen Anti-Ödipus, ein Werk, das eine kritische Genese gesellschaftlicher Grenzziehungen von Normalität und Schizophrenie beinhaltet.8 Von Interesse im vorliegenden Kontext dürfte sein, dass in Anti-Ödipus der Prozess als offene Denkfigur deutlich profiliert und aufgewertet wird. Guattari und Deleuze lenken dabei den Fokus auf die prinzipielle Unabschließbarkeit von Entwicklungen, ebenso wie darauf, dass jegliche Struktur immer auch willkürlichen Setzungen unterliegt – zwei Theoreme, die inzwischen zum Standardrepertoire der poststrukturalistischen Schule gehören und nicht zuletzt auch die Theatertheorie der letzten Jahre maßgeblich beeinflusst haben.9
Die Denkfigur des Prozesses ist auch Teil von Philiberts Filmen. Entscheidend ist hier der Einsatz eines spezifischen narrativen Modus10, der, wie sich auch an anderen Filmen Philiberts zeigen ließe, darauf angelegt ist, der Form einen ebenso wichtigen Stellenwert einzuräumen wie dem Inhalt. Entscheidend ist also vor allem, wie die Realität von La Borde durch den Film dargestellt und erzählt wird.11
Die strukturelle Anordnung der einzelnen Sequenzen – die Montage, die Länge der Einstellungen und die damit verbundene niedrige Schnittfrequenz; ferner die Kadrierung, die meist durch eine recht ausgewogene Bildkomposition gekennzeichnet ist – verbindet dabei mehrere Aspekte. Zum einen wiederholt, genauer: analogisiert Philibert in der Anordnung des Materials das Prinzip einer Auflösung von Hierarchien, das sein filmischer Gegenstand, die antipsychiatrische Klinik zumindest auf institutioneller Ebene von Beginn an intendierte. Vermischt werden Marginales wie das Spazierengehen der Patienten im Klinikpark oder das Schneiden von Gemüse in der Klinikküche und (vermeintlich) Wesentliches wie das Vorbereiten der Psychopharmaka durch das Klinikpersonal, intensive Diskussionsrunden oder das Eingreifen der Theaterleiterin in den Probenprozess durch das enthierarchisierte Arrangement der Filmbilder. Die filmische Dokumentation von Alltagsszenen und Probenszenen sowie die Dokumentation von Gesprächen werden prinzipiell gleichwertig eingesetzt.
Zugleich führen insbesondere die Kameraeinstellungen mit ihren Nah- und Fernaufnahmen zurück zu Philiberts Konzeption von Empathie als Voraussetzung für das Funktionieren einer Gesellschaft. Philibert beschönigt weder das Bild des Klinikalltags noch das beschwerliche Leben der Patienten. Die Kamera hält der Not der Kranken stand, der Film flüchtet sich nicht in eine Darstellung, die institutionelle oder individuelle Probleme ausblendet oder glättet. So zeigt La moindre des choses etwa das hilflose Stottern des Mannes, der gerade den Rezeptionsdienst ausführt, in einer Nähe und Länge, die, anders als in einem eindeutig pädagogisch ausgerichteten Dokumentarfilm, dem Zuschauer die Wahl überlässt, sich dem Thema zu stellen oder auch nicht. Und nicht nur das: Diese durch die Dramaturgie der langen Einstellungen und der aufmerksamen Betrachtung erzeugte Dringlichkeit scheint die Frage nach der Empathie überhaupt erst aufzuwerfen: Empathie ist eine emotionale Reaktion, die sich keineswegs automatisch durch das bloße Abfilmen von Akteuren einzustellen vermag. Philibert etabliert die Frage nach den ethischen Aspekten der Beobachtungssituation und gibt dabei, anders als es das Eingangszitat vermuten lässt, keine eindeutigen Antworten. Sein Film suggeriert zudem, dass es ihm weder um eine Anklage noch um eine Skandalisierung der Lebensweise von psychisch Kranken, noch auch um deren voyeuristische Beobachtung geht.
Dass hierbei das Theater eine ganz entscheidende neue Perspektive ins Spiel bringt, ohne dass es Philibert in erster Linie um die Dokumentation von Probenprozessen für eine Theateraufführung ginge, zeigt bemerkenswerterweise nichts anderes als die Präsentation eben jenes Probenprozesses. Betrachtet man diesen Prozess vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskurse zur Ästhetik des postdramatischen Theaters seit den siebziger Jahren, so fällt sehr bald auf, dass diese in Philiberts Universum so gut wie keine Rolle spielen. Die vorwiegend im Bereich einer ideologiekritisch ausgerichteten, nicht-repräsentationalen Ästhetik anzutreffende Ablehnung des bürgerlichen Theaters und seiner Rollenkonzepte greift bei der Theaterproduktion von La Borde nicht. Während es den ebenfalls seit den neunziger Jahren mit Laien oder Behinderten arbeitenden Theatermachern wie Rimini Protokoll oder Christoph Schlingensief vor allem auch darum ging, die Grenzen einer herkömmlichen Ästhetik bzw. die konventionellen Anforderungen des routinierten Theaterbetriebs zu sprengen, hat Philibert diese Perspektive nicht im Blick. Ebenso wenig geht es ihm darum, Formen des Scheiterns und der Imperfektion zu zeigen, wie dies seit den neunziger Jahren etwa Theatermacher wie Jérôme Bel, Forced Entertainment oder René Pollesch praktizieren, um damit die Funktionsweisen einer repräsentationalen Ästhetik zu dekonstruieren.
Es geht diesem Filmregisseur nicht um die Dokumentation einer Auseinandersetzung mit anderen, avantgardistischen oder alternativen, Theaterformen, auch nicht um die bewusste Abgrenzung von ästhetischen Traditionen. Für Philibert tritt diese Bezugsebene zugunsten eines direkten Interesses für sein Sujet zurück. Er versucht, eine der Eigenlogik seines Gegenstands adäquate Form zu finden, die eben nicht als (filmischer) Kommentar zu theaterästhetischen Positionen konzipiert ist oder gar als ein ästhetischer Wettbewerb unter Künstlerkollegen.
Die Wirkung, auf die es Philibert anlegt, ergibt sich aus der theatralen Ausnahmesituation, die hier vorgeführt wird. Die psychische Erkrankung der Beteiligten unterläuft das sonst in Probenprozessen übliche Prinzip einer routinierten Abfolge und Wiederholung von Auftritts- oder Darstellungstechniken sowie die etablierten Zugangsweisen zu einer Rollenfigur – das, was bei Theaterproben häufig unter dem Begriff Angebot der Schauspielerfirmiert. Auch die im üblichen Probenablauf entscheidende Zielorientierung, die das Ergebnis eines perfektionierten Ablaufs nie aus dem Blick verliert, ist bei den Theaterproben von La Borde und ihrer Dokumentation keine zentrale Kategorie. Die Äquilibristik, ein unter gewöhnlichen Produktionsbedingungen ganz entscheidender Aspekt, ist gestört, wie sich unschwer anhand der stockenden Bewegungsabläufe, der eingeschränkten Motorik, die auch ein gestörtes Erinnerungsvermögen zum Ausdruck bringt, sowie der gestörten Artikulation erkennen lässt.
Obwohl auch bei den Proben zu Gombrowiczs Operette eine ehemalige Patientin als Regisseurin und ein Komponist (André Giroud) die einzelnen Dialogtexte und Musikbeiträge mit den Patienten einstudieren und damit die Proben leiten, und obwohl es, wie in jeder Probensituation, auch Wiederholungen und Ritualisierungen von Arbeitsabläufen gibt, wird eine reibungslose Fiktionalitätsherstellung durch die Arbeitsumstände unterbunden. Dabei wird eine unter normalen Bedingungen für die Bewertung von schauspielerischer Leistung zentrale Kategorie, nämlich Könnerschaft oder auch Virtuosität, so radikal unterlaufen, dass auch die im Gegenwartstheater geläufigen Strategien des beabsichtigten Scheiterns und der ostentativen Imperfektion als Vergleichsmodell nicht infrage kommen.12 Virtuosität kann von den psychisch kranken Darstellern schließlich nicht verweigertwerden, da sie weder künstlerisch noch professionell im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt. Die Realität der Probenbedingungen stört die Fiktionalitätsherstellung zwar entscheidend, jedoch gestaltet sich dies nicht im Sinne eines Verfremdungseffekts13, sondern eher als Annäherungseffekt, um über das Theater das Verhalten psychisch kranker Menschen begreiflich zu machen.
Die Routine und Wiederholung von Probenabläufen unterliegen demnach in dieser Theaterproduktion einer ganz anderen Funktionalisierung als im avantgardistischen Gegenwartstheater: Sie sind therapeutischer und nicht ästhetischer Natur.14 Gleichwohl kann, wie Philiberts Film zu dokumentieren vermag, das Therapeutische durchaus zum Ästhetischen werden. Es geht bei dieser Dokumentation letztlich um nichts anderes als um das theatrale Prinzip von Verstecken und Zeigen: Philibert benutzt das theatrale Prinzip des Wechselspiels von Präsenz und Repräsentation im Rahmen seiner dokumentarischen Kameraarbeit so, dass er bestimmte Aspekte besonders hervorhebt oder verbirgt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Darsteller, die nicht gefilmt werden wollen, geschützt werden sollen. Die Anwesenheit der Kamera führt nämlich entweder dazu, dass die Darsteller besonders scheu reagieren, nicht erkannt werden wollen, oder sich ganz besonders als Darsteller profilieren, herausstellen wollen – auch hier ist eine im Vergleich zu gewöhnlichen theatralen Probenprozessen offensichtlich dysfunktionale Äquilibristik erkennbar.
Dem Prinzip des Verbergens kommt darüber hinaus die theatrale Praxis entgegen, im Rahmen der Produktion in La Borde auch Masken zu verwenden. Jene Darsteller, die nicht gesehen oder erkannt werden, aber an der Aufführung von Gombrowiczs Operette teilnehmen wollten, konnten Masken tragen. Es handelt sich also um ein theatrales Mittel, das drei weitere Aspekte ins Spiel bringt: Erstens verweisen Theaterproduktion und Film auf die Grenzen theatraler Darstellung qua medizinischer Indikation – man kann die Darsteller aus La Borde nicht einfach überzeugen, in eine Rolle zu schlüpfen. Zweitens verweist der Film auf die Grenze der routinierten Fiktionalisierung, indem er die Maske als metatheatrales wie als therapeutisches Element einsetzt. Die Maske durchbricht eine reibungslose Illusionsherstellung und erfüllt damit zugleich eine im Theater ansonsten eher suspendierte Schutzfunktion, indem sie die Privatsphäre des betroffenen Darstellers, wie von diesen gewünscht, aufrechterhält. Drittens greift er nicht zuletzt eine Strategie des Texts Operette auf, der von Gombrowicz in seinem Vorwort als ein „göttliche[r] Idiotismus“15 beschrieben wird, während er das Genre der Operette aufgrund seiner offensiv theatralen und illusionsdurchbrechenden Mittel wie Gesang, Tanz, Geste und Maske, zugleich als „himmlische Sklerore“16, als „Narretei“17, bezeichnet.
Abseits der Debatten um den ontologischen Ort des Realen und des Fiktiven, die gerade auch die Dokumentarfilmer intensiv beschäftigten, vermag Philibert mit der Überkreuzstellung von Film und Theater das Reale im Fiktiven und das Fiktive im Realen jeweils als Schauplatz von Grenzziehungen zu visualisieren. Es soll dabei weder die Scheinhaftigkeit der Fiktion in Abrede gestellt noch der Konstruktcharakter des Wirklichen, oder vielmehr der Wirklichkeitsdarstellung, enttarnt werden. Der künstlerische und/oder dokumentarische Akt birgt in der intentionalen Setzung immer schon die Differenz von beidem als Unbestimmtheitsstelle. Gerade das Verhalten der psychisch Kranken im Probenprozess, also einem Prozess der Fiktionsherstellung, zeigt hier jedoch auch, dass das Reale seinen Tribut jenseits dieser Fragen, aber nicht ohne sie aus dem Blick zu verdrängen, einfordert.
Proben ohne Anfang – Nicolas Philiberts Dokumentarfilm Qui sait?
Der Film Qui sait? entstand nur zwei Jahre nach La moindre des choses und ist, retrospektiv betrachtet, so etwas wie die logische Fortsetzung des vorangehenden Filmprojekts. Der Regisseur ist, so lässt sich vermuten, über die Arbeit in der Klinik La Borde überhaupt erst zu dem Stoff gekommen, den er mit Qui sait? aufgegriffen hat. Obwohl er sich nun noch weiter ins Theater vorwagt, steht auch hier nicht das Theater in seiner routinierten Professionalisierung im Zentrum der filmischen Auseinandersetzung. Vielmehr begleitet Philibert jetzt einen Probenprozess des 30. Jahrgangs von Schauspielschülern der Theaterschule des Théâtre National de Strasbourg.
Auch hier geht es nicht um die Dokumentation eines gewöhnlichen Probenprozesses. 15 Studierende sollen innerhalb von 24 Stunden eine Aufführung auf die Beine stellen, wofür sie weder einen Text, Hinweise für Figuren und Charaktere noch dramaturgische Anleitungen haben. Nicht einmal die Unterstützung durch Regisseur oder Lehrer wird ihnen gewährt und das, worauf sich die Beteiligten vielleicht noch stützen könnten, eine Geschichte, steht als Vorlage ebenso wenig zur Verfügung. Die Aufgabenstellung sieht lediglich vor, dass der Abend um die Stadt Strasbourg kreisen solle – ob nur eine oder mehrere Geschichten dargestellt werden, oder ob es überhaupt um die Präsentation einer Geschichte gehen soll, bleibt den Studierenden überlassen. Zwar werden damit dem postdramatischen Theater verwandte Ästhetik-Diskurse ins Spiel gebracht, doch auch hier richtet Philibert den Blick auf andere Aspekte: Indem der Filmemacher das Vorhaben filmisch festhält, gelingt es ihm, sowohl die Proben als auch – und darauf kommt es bei der Konzeption dieses Films entscheidend an – jene Tätigkeiten zu zeigen, die jede Probe begleiten, wenn nicht gar vorstrukturieren. Der Film handelt also nicht allein von Theaterproben als Vorgeschichte einer Aufführung. Philibert will noch vor diese Setzung zurück, indem er den ansonsten blinden Fleck, die bei so vielen künstlerischen Produktionen große Unbekannte der Entstehungs- und Rahmenbedingungen, offenlegt. Er begleitet das Davor einer Probe, das damit durchaus als Vorvorgeschichte bezeichnet werden kann.
Philiberts Film selbst beginnt damit, dass man sieht, wie die Studierenden nacheinander durch eine Tür ihre Schule betreten, um zu jenem Ort zu gelangen, an dem sie nun über mehrere Stunden zusammensein werden, ohne ihn verlassen zu können. Die Studierenden beginnen ihre Arbeit mit dem bloßen Hinweis, die Aufführung solle thematisch um die Stadt Strasbourg kreisen, jene Stadt, in der sie leben und ihrem Schauspielstudium nachgehen. Was im Gegenwartstheater für gewöhnlich unter dem Begriff site-specific firmiert,18 konturiert hier jedoch nicht den Ausgangspunkt einer Performance. Die Gruppe probt zwar in den Räumen der Theaterschule, die sich in Strasbourg befindet, die konkret räumlichen Gegebenheiten führen aber nicht zur Auseinandersetzung mit dem Ort. Der Ort wird von allen 15 Teilnehmern lediglich über die verbale Auseinandersetzung mit ihm imaginiert, und diese Imagination ist es schließlich auch, die den Probenprozess bis zu seiner ausschließlich vor der Gruppe und dem Filmteam stattfindenden Aufführung begleitet.
Probenszenario in der Psychiatrie: La moindre des choses
Ebenso wie in La moindre des choses verweigert Philibert auch in Qui sait? eine Hierarchisierung des zu Zeigenden: Er montiert Sequenzen, die meist sehr unvermittelt aufeinanderfolgen, indem er Gesprächsverläufe, also Diskussionen der Studierenden darüber, welche Form des Spiels überhaupt gewählt werden soll, oder welche Geschichten man wie erzählen will, an Sequenzen montiert, die die Beteiligten bei Körperarbeit und -training zeigen. An diese wiederum können sich unvermittelt Gesangsproben anschließen oder auch Aufnahmen, die etwa zeigen, wie einer der Studenten einen Vogel aus Styropor schnitzt. Dabei lässt Philibert zum einen offen, warum die jeweilige Sequenz gerade an dieser bestimmten Stelle montiert ist. Es gibt keinen zwingenden Grund, der die Abfolge der Filmszenen motivieren würde. Dies wirkt insgesamt so disparat, dass man als Zuschauer mitunter den Eindruck haben könnte, Philibert arbeite mit Jump-Cuts, also der weder visuell noch narrativ logischen Verbindung ungleicher Schauplätze bzw. Handlungsspielräume, wüsste man nicht, dass man sich während des Films im immer gleichen Probenuniversum befindet. Philibert vermittelt damit nicht nur die prinzipielle Gleichrangigkeit aller für den Probenprozess relevanten Aspekte: das Sprechen über die mögliche Aufführung, das Körpertraining, die Interaktion, die Improvisation, die persönlichen Befindlichkeiten, das Basteln und sogar das Miteinander-Essen. Er akzentuiert auch, dass für die Dramaturgie des Films Diegesis und Mimesis, also Berichten und Darstellen, grundsätzlich den gleichen Stellenwert besetzen.
Diese Dehierarchisierung der verschiedenen Prozesse korreliert wiederum mit der Camouflage, man könnte auch sagen: mit der Maskierung der Urheberschaft der einzelnen Zwischenergebnisse des Probenprozesses. Meist legt Philibert nicht offen, auf wen die Idee zu einer bestimmten Episode oder szenischen Idee zurückgeht, oder wer genau für einen bestimmten Probeninhalt (oder auch ein Zwischenergebnis) verantwortlich zeichnet.
… und Probenszenario in der Schauspielschule: Qui sait
Eine Schlüsselfunktion nimmt vor diesem Hintergrund eine Sequenz etwa in der Mitte des Films ein. Drei Studierende führen vor, wie ein Blinder die Kathedrale Strasbourgs und seine Umwelt erlebt. (Die kleine Geschichte wurde dadurch angeregt, dass eine der Studentinnen ein persönliches Erlebnis in und mit der Stadt Strasbourg schilderte.) In der besagten Sequenz korrelieren theatrale und filmische Auflösung auf erstaunliche Weise: Die recht lyrisch anmutenden Berichte darüber, wie der Blinde die Welt und insbesondere die Strasbourger Kathedrale wahrzunehmen vermag, werden hier nicht von einem Schauspieler, der einen Blinden spielt, verkörpert, sondern von mehreren Studierenden abwechselnd und schließlich mehrstimmig vom Papier ablesend vorgetragen. Simultan hierzu, also via Parallelmontage, balanciert ein Dritter mit Blindenstock auf einem schmalen Balken.
Mit wenigen Mitteln ist hier ein im postdramatischen Theater typisches subjekt- und identitätskritisches Verfahren zur Anwendung gebracht. Die Identität von Sprechersubjekt und Figurenrede ist in doppelter Hinsicht suspendiert. Die Figurenrede ist auf mehrere Sprechende verteilt, zudem lesen die Sprecher den Text vor, sie spielen ihn nicht, wie in anderen Szenen. Die Aktion wiederum kommt von einem dritten Akteur, jener Person, die mit Blindenstock auf dem Balken balanciert. Aus der Perspektive des Films belässt die Szene damit Vielerlei im Dunkeln. Unklar bleibt, wer die Szene mit dem von der Studentin im gelben Pullover geschriebenen Text einstudiert hat und wer die Idee dazu hatte, sie auf diese Weise zu gestalten. Philibert montiert die Sequenz so, dass ihr Anfang mit dem Lesebeginn des Studenten zusammenfällt. Die Ausleuchtung ist dürftig. Es wird lediglich das Originallicht einer Taschenlampe verwendet. Und schließlich wird nicht einmal gezeigt, wer über den Balken balanciert, man sieht nur einen Ausschnitt balancierender Füße. Diese gesamte Sequenz ist damit eine sowohl theatrale als auch filmische Verhandlung des uneigentlichen Sehens, Sprechens und Handelns.
In vielleicht noch ausgeprägterem Maße als La moindre des choses sollte Qui sait? folglich als grundlegende Versuchsanordnung über die Bedingungen und Konventionen von Narration begriffen werden. In mancher Hinsicht korrespondiert die filmische Beobachtungspraxis Philiberts der poststrukturalistischen Kritik an der Vorstellung einer singulären Autor- und Urheberschaft. Diese Beobachtungspraxis ist, wie Philibert selbst sagt, stets auf Offenheit und Risiko angewiesen, zugleich sei beides ohnehin eine Gegebenheit, der Dokumentarfilmer noch mehr ausgesetzt seien als Spielfilmregisseure.19 Zu Qui sait? könnte man deshalb auch ergänzend hinzufügen: „Qui commence?“, da die tatsächliche Entwicklung einer Situation den Intentionen eines (Dokumentarfilm-)Regisseurs jederzeit zuwiderlaufen kann.
Improvisation und Imagination verdeutlichen in Qui sait? in ihrer Kombination genau dies: Die durch den kollektiven Arbeitsprozess einer ständigen Überprüfung ausgesetzten Improvisationsakte lassen, neben dem Urheber, auch den Anfang und das Ende einer jeweiligen er- oder gefundenen Probensituation nicht erkennen. Diese Offenheit gilt prinzipiell auch für den Status der Imagination im kollektiven Herstellungsprozess. Glaubt ein einzelner Zuschauer oder Leser immerhin, auf die Privatheit seiner singulären Rezeptionserfahrung bauen zu können, gilt das für den vorliegenden Fall der gefilmten Probensituation in der Schauspielschule von Strasbourg nicht. Die durch die reduktionistische Probensituation geforderte Imaginationsleistung eines jeden einzelnen Teilnehmers muss der Fiktionsherstellung zugleich vorausgehen und sie beim Wahrnehmen der Probedurch die anderen Mitwirkenden begleiten.20 Eingefordert wird diese Imaginationsleistung auch vom Rezipienten des Films, bei dem sie aber, anders als bei den am Probenprozess Beteiligten, auch ohne wechselseitige Überprüfung auskommt. Ein Unterschied besteht nicht zuletzt darin, dass schließlich auch die Akte der gemeinsamen (Er-)Findung nicht ohne Empathie zu leisten sind. Diese wird zum Prüfstein des Zirkels von Gelingen oder Misslingen, im Bereich des Therapeutischen ebenso wie des Pädagogischen, aber auch jeglicher künstlerischer Entscheidungsprozesse.
So betrachtet, lassen sich Philiberts Filme auch als eine spielerische Variation poststrukturalistischer Welterkenntnis lesen. Immer noch exemplarisch steht hierfür Derridas Text Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation, in dem der Philosoph, auf Antonin Artaud Bezug nehmend, vor allem die problematische Verbindung von Ursprung, Ende und Repräsentation thematisiert. Jede Narration, jede diskursive Anordnung, ob historisch oder fiktional, wird in diesem Zusammenhang immer schon als Repräsentation, als récit begriffen, als eine strukturelle Abfolge der darzustellenden Einzelereignisse, die mit der Geschichte, der histoire, nicht identisch ist.21
In seinen Filmen realisiert Philibert dieses Konzept Derridas keineswegs uneingeschränkt. Er teilt Derridas Priorisierung des Theaters nicht, dem von dem Philosophen angetragen wird, „zum ausgezeichneten und privilegierten Ort der Destruktion der Nachahmung zu werden“22. Auch dürfte Philibert skeptisch gegenüber der Derridaschen Absage an die Funktionalisierung von Repräsentation sein, da seine Filme durchweg der eingangs angesprochenen Intention verpflichtet sind, verschiedene Probenprozesse als Exemplar der Funktionalität von Empathie und Interaktion vorzuführen.
1Philibert, Nicolas: Autorität ja, aber keine autoritäre Erziehung, Gespräch mit Margret Köhler am 1. Januar 2003, URL: www.kinofenster.de/film-des-monats/archiv-film-des-monats/kf0301/autoritaet_ja_aber_keine_autoritaere_erziehung; letzter Zugriff: 5. Mai 2012.
2Ebd.
3Vgl. Schadt, Thomas: Das Gefühl des Augenblicks. Zur Dramaturgie des Dokumentarfilms, Bergisch Gladbach 2002, S. 23f. Zu den Debatten um Funktion und Reichweite des Dokumentarfilms vgl. Hohenberger, Eva: „Dokumentarfilmtheorie“, in: dies. (Hrsg.): Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms, Berlin 1998, S. 8–34.
4Wilpert, Gero: Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 1985, S. 146.
5Philibert, Nicolas: Ils me disaient: On est fous, mais pas idiots, Gespräch mit Jacques Morice am 5. März 1997, URL: www.nicolasphilibert.fr/media/objets_telechargeables/MDC-Ils%20me%20disaient.pdf; letzter Zugriff: 5. Mai 2012.
6So etwa bei der Schweizer Produktion aus dem Jahr 1981 Zur Besserung der Person von Heinz Bütler oder bei der französischen Produktion Alltag in der Psychiatrie – Die Pariser Klinik Sainte-Anne aus dem Jahr 2010 in der Regie von Ilan Klipper.
7Zur Freundschaft von Félix Guattari und Gilles Deleuze sowie zu Guattaris Zeit in La Borde vgl. Dosse, Francis: Gilles Deleuze and Félix Guattari: Intersecting Lives, URL: http://cup.columbia.edu/book/978-0-231-14560-2/gilles-deleuze-and-flix-guattari/excerpt; letzter Zugriff: 5. Mai 2012.
8Vgl. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie, Frankfurt am Main 1977.
9Vgl. Lepecki, André (Hrsg.): Of the Presence of the Body. Essays on Dance and Performance Theory, Middletown 2004.
10Als „Modus“ bezeichnet Gérard Genette im Bereich der literarischen Exegese die Regulierung der narrativen Information. Im Zentrum seiner Überlegungen stehen die auch für den Dokumentarfilm relevanten Fragen, aus welchem Blickwinkel erzählt wird, welche inhaltlichen und formalen Schwerpunkte gesetzt werden und welcher narrativen Logik die ausgewählten Ereignisse folgen. Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung, München 1998, S. 115ff. Der Begriff der Narration hat, nachdem er zuvor lediglich für den Spielfilm reserviert war, auch in der Theorie des Dokumentarfilms Anwendung gefunden; vgl. Hohenberger, Eva: „Dokumentarfilmtheorie“, S. 24f.
11Abseits der recht ausführlichen Debatten zum Status des Dokumentarfilms als „realitätsabbildendem“ Medium schlechthin, zieht Philibert ganz bewusst den Aspekt einer spezifischen Narration der realen Ereignisse in Erwägung.
12Bettina Brandl-Risi etwa erörtert am Beispiel der Aufführungen René Polleschs, dass dessen Inszenierungsstil gerade über das Verweigern einer bestimmten und vom Publikum eingeforderten Virtuosität schauspielerischer Darstellung prinzipiell ein gesamtgesellschaftliches Leistungs- und Effizienzdenken hinterfragt. Vgl. Brandl-Risi, Bettina: „‚Ich bin nicht bei mir, ich bin außer mir‘. Die Virtuosen und die Imperfekten bei René Pollesch“, in: Roselt, Jens/Weiler, Christel (Hrsg.): Schauspielen heute. Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten, Bielefeld 2011, S. 137–155.
13Dieser ist von zentraler Bedeutung für die Ästhetik des postdramatischen Theaters (post-)brechtischer Provenienz. Vgl. Primavesi, Patrick: „Schauspielen (das gab es doch mal) bei René Pollesch“, in: Roselt/Weiler 2011, S. 157–176.
14Zwar steht der theatertherapeutische Aspekt ebenfalls nicht im Zentrum von Philiberts Film. Dennoch macht er anschaulich, dass es auch hier im Rahmen therapeutischer Praxis, neben der Förderung neuer Ausdrucksfähigkeiten, unter anderem um das Erproben neuer Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten und die Stärkung von Bewegung geht. Vgl. Döninghaus, Joachim/Neumann, Martin: „‚Wogende Wellen wagen‘ – Theaterarbeit und Phantasieprojekte in psychiatrischen Institutionen“, in: Kloserkötter-Prisor, Birgit (Hrsg.): Grenzüberschreitungen. Theater – Theaterpädagogik – Thearapie, Remscheid 1994, S. 86–90.
15Gombrowicz, Witold: Operette, Frankfurt am Main 1983, S. 20.
16Ebd.
17Ebd., S. 21.
18Vgl. Kaye, Nich: Site-specific art. Performance, place and documentation, London u. a. 2000.
19Vgl. Philibert, Nicolas: Entretien avec Nicolas Philibert par Patrick Leboutte, URL: www.nicolasphilibert.fr/media/objets_telechargeables/La-Moindre-entretien.pdf; letzter Zugriff: 5. Mai 2012.
20Wolfgang Iser hat in Bezug auf literarische Texte den Unterschied vom Fiktiven und Imaginären benannt. Er schreibt: „Bezieht sich also der fiktionale Text auf Wirklichkeit, ohne sich in deren Bezeichnung zu erschöpfen, so ist die Wiederholung ein Akt des Fingierens, durch den Zwecke zum Vorschein kommen, die der wiederholten Wirklichkeit eigen sind. Ist Fingieren aus der wiederholten Wirklichkeit nicht ableitbar, dann bringt sich in ihm ein Imaginäres zur Geltung, das mit der im Text wiederkehrenden Realität zusammengeschlossen wird. So gewinnt der Akt des Fingierens seine Eigentümlichkeit dadurch, dass er die Wiederkehr lebensweltlicher Realität im Text bewirkt und gerade in solcher Wiederholung das Imaginäre in eine Gestalt zieht, wodurch sich die wiederkehrende Realität zum Zeichen und das Imaginäre zur Vorstellbarkeit des dadurch Bezeichneten aufhebt.“ Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre, Frankfurt am Main 1993, S. 20.
Bezogen auf den Probenprozess in Qui sait? lässt sich sagen, dass, anders als nur im Lesevorgang, die Interaktion im Kollektiv einen ganz maßgeblichen Anteil am Fingieren und an der daran gekoppelten Rezeption hat, die wiederum nur dann die Fiktion erst ergibt. Diese verbleibt im vorliegenden Fall zugleich aber stets in der Imagination.
21Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 22.
22Derrida: Das Theater der Grausamkeit, S. 354.