Magazin
kirschs kontexte: Mimesis und Terror
Anmerkung zu einem ewigen Streitfall
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Peter Kurth: Die Verwandlung (09/2016)
Zu den umkämpftesten Begriffen der Theatergeschichte gehört sicherlich die berüchtigte Mimesis, nach wie vor als Nachahmung diskutiert, obwohl Hervorbringung vermutlich die bessere Übersetzung wäre. Doch selbst wenn man sich auf die Vokabel der Nachahmung einlassen mag, ist ja nicht geklärt, was da eigentlich nachgeahmt wird. Der ewige Theaterstreit um die Mimesis jedenfalls heftet sich bis heute an eine prominente Auslegung, die man vielleicht auf einen Schulbuch-Platon zurückführen kann. Ihr zufolge wäre Mimesis Nachahmung von Ideen, von Wesenheiten – eine Auffassung, an die sich seit dem 20. Jahrhundert die Kritik der Einfühlung, des psychologischen Schauspiels und der vorgeblichen Realismen geknüpft hat. Es gibt aber noch einen ganz anderen Traditionsstrang, der Mimesis als Nachahmung von Oberflächen versteht, die sich gerade nicht um Wesenskerne und Essenzen schert. Man kann in diesem Kontext an den Soziologen Gabriel Tarde erinnern, dessen kulturgeschichtliche Tat es war, den Blick von den geschriebenen und ungeschriebenen Regelwerken wegzulenken, mit denen Gruppierungen, Institutionen und weltanschauliche Verbünde ihre Nachahmungsmuster produzieren, und genau umgekehrt die Aufmerksamkeit auf die vielen kleinen Nachahmungsprozesse zu richten, durch die solche Regeln, Gruppen und schließlich Organisationen sich überhaupt erst verfestigen.
Nicht zuletzt der Blick auf die Terrorwelle der letzten Monate zeigt, wie wichtig es gerade heute wäre,...