Theater der Zeit

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Fesselspiele

Das Banden!-Festival neuer performativer Allianzen am Oldenburgischen Staatstheater testet die Zusammenarbeit von freien Performance-Gruppen und Ensemble

von Alexander Schnackenburg

Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)

Assoziationen: Oldenburgisches Staatstheater

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Sie sollen sich auf Chaos und Ärger freuen: jene Intendanten und Dramaturgen, die sich eine Zusammenarbeit mit freien Performance-Kollektiven am Haus wünschen. So formuliert es die Performerin und Kulturwissenschaftlerin Melanie Hinz beim Banden!-Festival in Oldenburg. Hier haben Generalintendant Christian Firmbach und sein leitender Schauspieldramaturg Marc-Oliver Krampe gerade eine ganze Reihe von Kollektiven ans Haus geholt. Denn das Banden!-Festival des Oldenburgischen Staatstheaters zielt just auf jenes gemeinsame Wirken von freien Performern und Stadttheater-Schauspielern ab, das Hinz zufolge zwar allemal geboten erscheint, aber eben kein Selbstläufer ist. Reibungsverluste seien unvermeidlich.

Beim Festival neuer performativer Allianzen in Oldenburg sind diese Reibungsverluste gar Programm. Denn von dem Ärger und dem Chaos, das Hinz prophezeit, wollen Firmbach und Krampe auf lange Sicht profitieren. Wie bereits der Titel Banden! suggeriert, sollen jene Kontakte, die dieser Tage in Oldenburg geknüpft werden, dauerhaft halten. Krampe möchte nicht nur das Festival kontinuierlich entwickeln, sondern im Idealfall gar Maßgebliches zu einer noch viel größeren Entwicklung beitragen: zu jener aller Theater in öffentlicher Trägerschaft. „Resetting Staatstheater“ lautet derzeit das Zauberwort in Oldenburg (siehe auch TdZ 02/2017).

Auf diese Weise zur Kritik an der Institution eingeladen, lassen sich insbesondere die Performer von Markus&Markus (Markus Wenzel, Markus Schäfer, Lara-Joy Hamann und Katarina Eckold) sowie die Staatstheater-Schauspieler Lisa Jopt, Jens Ochlast und Pirmin Sedlmeier nicht lumpen. Vordergründig betrachtet kreist ihr Stück „Die Rache“ um die Biografie Sedlmeiers als verhindertem Braumeister am Starnberger See. Dann suchte er das Weite, um ausgerechnet Schauspieler zu werden (im niedersächsischen Oldenburg) – sehr zum Missfallen seiner Eltern. Wie bei Markus&Markus üblich, bleibt vollkommen offen, wo in dieser Geschichte die Realität endet beziehungsweise die Dichtung beginnt.

Bedeutungsvoller erscheint ohnehin der Bogen, den das gemischte Ensemble in der Folge schlägt: fort von der Privatgeschichte Sedlmeiers, hin zur Systemkritik. Durch die Lautsprecher ertönt jener Text, mit welchem die Mitgründerin des Ensemble-Netzwerks Lisa Jopt gegenüber Firmbach und Krampe ihre Kündigung zur kommenden Spielzeit am Staatstheater begründet. Massiv kritisiert sie in diesem Brief die Arbeitsbedingungen am Oldenburgischen Staatstheater, das hier wohl stellvertretend für alle deutschen Stadttheater steht. Jopt fühlt sich ausgezehrt, verleiht ihrer Sehnsucht nach wahren Spielräumen für ihre Kreativität ebenso Ausdruck wie nach Sicherheit und Entschleunigung. In all diesen Punkten betrachtet sie die Stadttheater als rückständig (siehe auch TdZ 10/2016). Passend zu diesem bitteren Befund singt das Ensemble zum Finale der „Rache“ Katja Ebsteins fast vier Jahrzehnte alten Schlager: „Theater, Theater, der Vorhang geht auf …“

Der Autor und Regisseur Kevin Rittberger greift die Kritik des „Rache“-Ensembles bei einer Podiumsdiskussion auf. Auch er weist darauf hin, dass die Schauspieler an den deutschen Stadttheatern schlicht zu viel Repertoire zu spielen hätten, um überhaupt noch die nötige Kraft für strukturelle und ästhetische Experimente aufbringen zu können. Hier, glaubt Rittberger, müsse ansetzen, wer Performer und traditionell geschulte Schauspieler zusammenbringen wolle. Die Hildesheimer Professorin für experimentelle Formen des Gegenwartstheaters und zugleich Gründungsmitglied von She She Pop, Annemarie Matzke, beschreibt den vielleicht größten Unterschied zwischen Schauspielern einerseits und Performern andererseits mit den Worten: „Ich muss niemals eine Rolle verkörpern, sondern spiele immer Mieke Matzke.“

Bei allen Unterschieden zwischen darstellenden Künstlern sei es mit ihrer Zusammenarbeit gleichwohl noch nicht getan, gibt Jörg Holkenbrink vom Zentrum für Performance Studies der Uni Bremen zu bedenken. Er bezieht in seinem „Theater der Versammlung“ das Publikum mit ein: dergestalt, dass es Teil der Performance wird. Bei den Banden! beschränken sich er und seine Mitstreiter indes auf „Kopfsprünge“. Bei diesem Nachgesprächsformat leiten die Spieler des „Theaters der Versammlung“ das Publikum auf der Bühne zur öffentlichen Reflexion über die Inszenierungen „Die Rache“ und „Gulliveras Reise“ an. Letztere hat das Performance-Kollektiv Das Helmi zusammen mit den Staatstheater-Schauspielern Johannes Lange und Klaas Schramm entwickelt. Wie „Die Rache“ übernimmt das Theater auch „Gulliveras Reise“ in sein Repertoire.

Den Begriff Banden nehmen Das Helmi, Lange und Schramm in „Gulliveras Reise“ wörtlich. Fesselspiele ziehen sich wie ein roter Faden durch das revueartig aufgebaute Stück. Statt Jonathan Swifts Romanfigur Gulliver entdeckt in dieser Inszenierung eine Frau das Land der Zwerge. Playmobil-Männchen fixieren sie zunächst am Boden. Statt der abenteuerlichen Reisen in geografisch fern liegende Zonen, stehen Gullivera vor allem Gedankensprünge bevor. Das Stück kreist um den Machtkampf zwischen den Geschlechtern, wirft gleichsam aber auch Fragen zur Homosexualität wie zur Heterosexualität auf. In seiner offensichtlichen Liebe zu deftigen Bildern überträgt das Ensemble den Kampf zwischen den Geschlechtern schließlich gar auf Zombie-Formate à la „The Walking Dead“. //

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