Theater der Zeit

Magazin

Kraft ohne Macht

Stefan Donath: Protestchöre. Zu einer neuen Ästhetik des Widerstands. transcript, Bielefeld 2018, 482 Seiten, 34,99 EUR.

von Angelika Meyer-Speer

Erschienen in: Theater der Zeit: Franz Rogowski: Der Schmerz des Boxers (09/2018)

Elfriede Jelinek ist wütend. Nicolas Stemann ist wütend. Und auch die Band Kraftklub besingt zynisch die Wut all derer, die händeringend auf der Suche nach einem Sündenbock sind: „Eins ist klar, so kann das nicht weitergehen mit dem Land. Vertraue nicht dem Staat, nimm es selber in die Hand.“ Wutbürger, Wutkonzerte, Wutchöre – was nach Gedankenfiguren à la Elfriede Jelinek klingt, sind Schlagwörter aus Stefan Donaths neuestem Buch „Protestchöre. Zu einer neuen Ästhetik des Widerstands“.

Umso verwunderlicher ist es, dass Donath kein Wort über Stemanns Inszenierung „Wut“, uraufgeführt an den Münchner Kammerspielen, verliert. Donaths Buch stellt den Versuch dar, soziale Phänomene wie gegenwärtige Protestkulturen mithilfe theaterwissenschaftlicher Terminologie zu greifen und auf ihr ästhetisches Potenzial hin zu untersuchen. Eine der Hauptüberlegungen ist die sprachliche Trennung von Chor und Chorischem, die der Autor mithilfe des Begriffs der „politischen Differenz“ (den schon Hannah Arendt geprägt hat) zu bewerkstelligen sucht. Einfach ausgedrückt: Der Chor verhält sich zum Chorischen wie die Politik zum Politischen. Dabei gestaltet sich die politische Dimension des Sozialen unabhängig von der Frage, wie Politik als soziales Funktionssystem zu organisieren ist.

Ähnlich autonom will Donath das Chorische verstanden wissen. Im Gegensatz zum Chor, der ein demokratisches System repräsentiert, erschafft das Chorische performativ...

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