„Ein Mensch, der seine Erinnerung, sein Gedächtnis verloren hat, ist in einer illusorischen Existenz gefangen“, schrieb Andrej Tarkowski in seinem Essay „Die versiegelte Zeit“ und fuhr fort: „Er fällt aus der Zeit heraus und verliert damit die Fähigkeit zu einer eigenen Bindung an die sichtbare Welt.“ Tarkowskis Reflexionen über seine Arbeit als Regisseur aus den Jahren 1962 bis 1986 haben bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren. In einer Zeit, in der Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mit digitalem Hochdruck an der Auslöschung von Erinnerung arbeiten, lesen sich Tarkowskis Texte zur Ästhetik und Poetik seiner Filme wie ein Organon des Widerstands gegen das organisierte Vergessen. Nur durch das individuelle Erinnern, das sich nicht den Maßgaben einer staatlich verordneten „Erinnerungskultur“ unterwirft, können sich die Menschen ihrer Herkunft und ihrer Verantwortung für die Zukunft vergewissern. Darauf insistiert Tarkowski in den Texten dieses Bandes immer wieder.
Von „Iwans Kindheit“ bis zu „Opfer“ hat der russische Regisseur in den „quälend langen Pausen“ zwischen seinen Filmen über die Voraussetzungen ihrer Entstehung nachgedacht, aber auch über seine fortgesetzte „Suche nach einem umfassenden, unabhängigen Selbst“. Noch während der Arbeit an einem Drehbuch über E.T.A. Hoffmanns letzte Tage hat er bis zu seinem eigenen Tod 1986 diese Reflexionen fortgeführt....