Theater der Zeit

Auftritt

Theater Konstanz: Eine Gesellschaft im Dauerrausch

„no shame in hope (eine jogginghose ist ja kein schicksal)“ von Svealena Kutschke – Regie Simone Geyer, Bühne und Kostüme Mona Marie Hartmann

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Theater Konstanz

„no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal)“ in der Regie von Simone Geyer Bühne und Kostüme Mona Marie Hartmann am Theater Konstanz. Foto Ilja Mess
„no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal)“ in der Regie von Simone Geyer, Bühne und Kostüme Mona Marie Hartmann am Theater KonstanzFoto: Ilja Mess

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Der Geruch von Frittierfett und nostalgische Liebesträume wabern im Raum. Discokugeln erinnern an eine bessere Zeit. In einem heruntergekommenen Imbiss an der Landstraße treffen sich drei Frauen, die ein Schicksal teilen. Sie sind depressiv. Die Krankheit, die in der Gesellschaft verschämt unter den Teppich gekehrt wird, steht im Fokus von Svealena Kutschkes Stück „no shame in hope (eine jogginghose ist kein schicksal)“. Die Krankheit der Gesellschaft verknüpft die Autorin mit der fehlenden Erinnerungskultur. Immer wieder flattern Briefe aus der Nazizeit auf den Boden. Regisseurin Simone Geyer lässt sich in der Inszenierung am Stadttheater Konstanz auf den Balanceakt ein, die verschwiegenen Frauengeschichten vor dem historischen Kontext zu lesen. In Zeiten, da Rechtsextremismus überall neu erstarkt, ist das Stück aktueller denn je.

Das Spotlight auf den politischen Kontext zu werfen, gelingt in der dynamischen, mit schrillen Bildern überladenen Regiearbeit zwar nicht immer. Dennoch schafft es Simone Geyer, mit vier starken Schauspielerinnen, tief in die Psyche der lebenskranken Frauen einzudringen. Bühnen- und Kostümbildnerin Mona Marie Hartmann zitiert zwar das prekäre Klischee der Jogginghose. Mit Zottelhaaren und dunkel geschminkten Konturen stehen die Frauen aber für Outcasts, die es in jeder Epoche gibt.

Die 1977 geborene Autorin, die sich vor allem mit ihren Romanen einen Namen gemacht hat, packt unbequeme Themen an. Auch in ihrem Stück geht es um verdrängten Schmerz. So, wie die Frauen im täglichen Leben versuchen, ihre Sorgen und Ängste mit Schminke zu übertünchen, geht auch die Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit um. Die Wunde des Holocaust ist noch lange nicht verheilt. Immer wieder bricht sie auf, spült rechtsextreme Verführer an die Oberfläche, die bald in weiten Teilen von Europa die Politik und auch die Werte bestimmen.

In der Figur der Imbissverkäuferin, die angeblich seit 90 Jahren hinter dem Tresen steht, spiegelt Kutschke den historischen Kontext. Der wandelbaren Schauspielerin Anna Eger gelingt es, Brücken in die Vergangenheit zu schlagen. Als Imbissverkäuferin, die nicht als Currywurst, Pommes und jahrzehntealtes Bier verkauft, reflektiert sie die Lebensweisheiten der Ewiggestrigen. Zwischen Lachen und Schrecken windet sich diese Kunstfigur durchs Leben. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bleibt sie bewusst schuldig. Eine Schlüsselrolle hat Jonas Pätzold als Erzähler inne. Er gibt den Frauen eine Stimme, von deren verzweifeltem Lebenskampf keiner hören will.

Der Krankheit geben Sylvana Schneider, Jana Alexia Rödiger und Sarah Siri Lee König ein Gesicht. Im Chor und in Monologen, die tief berühren, tauchen sie in Kutschkes Sprache ein. Das „Aufwachsen in der immer leicht betrunkenen BRD“ – diese Worte kehren im Text leitmotivisch wieder – reflektieren die Frauen in großen Momenten. Sarah Siri Lee König wächst in der Rolle der verwöhnten Frau über sich hinaus, deren Leben sie in die Psychiatrie treibt. Dass diese Flucht in Neurosen und seelische Konflikte die Frauen immer mehr in die Insolation treibt, zeigt sie wütend und stark. Auch Schneider und Rödiger berühren das Publikum zutiefst.

Doch diese Flucht in die Krankheit, die eine ganze Gesellschaft lähmt, hat in Krutschkes Text eine tiefere Ursache. Die unbewältigte Nazi-Vergangenheit gräbt sich wie ein Stachel in die Gedanken der Nachgeborenen. Plötzlich bekommen die Kriegsgeschichten, die Großeltern am Kaffeetisch erzählt haben, eine neue Dimension. Sie rücken so nah wie die Briefe aus der Nazizeit, die von der Decke flattern. Das heimelige Imbiss-Idyll zertrümmert Bünenbildnerin Mona Maria Hartmann vollends, indem sie Spuren der Geschichte in silbrig glitzernden Fraktur-Buchstaben aus dem Bühnenhimmel schweben lässt. Im Licht der Discokugel erinnern sie an die Geschichte, die sich nicht im lauwarmen Bier ertränken lässt. Solch Bilderflut überrollt das Publikum phasenweise. Dennoch weckt Geyers Regie mit diesen symbolkräftigen Bildern Assoziationen an die Macht der Rechtspopulisten. In einem Land mit gewachsener Erinnerungskultur, das seine Vergangenheit offen und ohne Furcht verarbeitet, hätte deren Gedankengut keine Chance. Nie wieder.

Erschienen am 30.1.2025

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