Theater der Zeit

2 Semiotische und performative Perspektiven

von Julia Kiesler

Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)

Nicht nur, dass beim Sprechen etwas gesagt und beim Gegenüber ein Eindruck hinterlassen wird, ist von Bedeutung, sondern auch die Tatsache, dass im Sprechen und durch das Sprechen die soziale Wirklichkeit und somit die Welt verändert wird. (Kranich 2016, 11)

Dieser von Kranich umschriebene Sachverhalt gilt nicht nur für die Alltagskommunikation, sondern kann ebenso auf die Kommunikation innerhalb bestimmter theatraler Prozesse übertragen werden. Das Sprechen auf der Bühne ist auch hier nicht nur als Ausdruck einer inneren Befindlichkeit von Figuren zu verstehen oder als Abbild einer dargestellten Welt, sondern es konstituiert Wirklichkeiten zwischen Bühne und Zuschauerraum, die es zuvor nicht gegeben hat. Die Theaterwissenschaft greift die wirklichkeitskonstituierende Funktion theatraler Handlungen im Rahmen einer Performativitätstheorie auf, die als theoretische Ausgangsbasis der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt. Sie soll im folgenden Kapitel umrissen sowie mit theoretischen Ausgangspositionen sprechwissenschaftlicher Betrachtungen in Zusammenhang gebracht werden.

Dabei soll ein Verständnis des Begriffs „performativ“ aus historischer, theoretisch-terminologischer und theaterpraktischer Sicht etabliert werden. So beleuchten die nachfolgenden Ausführungen zunächst die Entwicklung zweier Fachgeschichten und ihrer Forschungsinteressen, die mit Aspekten des Performativen im Zusammenhang stehen. Im Anschluss daran wird der Begriff theoretisch-terminologisch sowie theaterpraktisch im Zusammenhang mit der Spielweisenklassifikation, wie sie Bernd Stegemann (vgl. Stegemann 2011, 102 ff. sowie...

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