3 Theorie des Performativen
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
3.1 Begriffsverständnis
Seit den 1990er Jahren tritt innerhalb kulturwissenschaftlicher Debatten neben den Begriff der „Theatralität“ der Begriff der „Performativität“. Wie Fischer-Lichte schreibt, lassen sich beide Begriffe nicht immer klar voneinander abgrenzen.
Während Theatralität sich auf den jeweils historisch und kulturell bedingten Theaterbegriff bezieht und die Inszeniertheit und demonstrative Zurschaustellung von Handlungen und Verhalten fokussiert, hebt Performativität auf die Selbstbezüglichkeit von Handlungen und ihre wirklichkeitskonstituierende Kraft ab. (Fischer-Lichte 2012, 29)
In der deutschen kulturwissenschaftlichen Diskussion findet man beide Begriffe, hingegen hat sich im internationalen Kontext der Begriff des Performativen durchgesetzt (vgl. ebd.). Im Englischen ist der Begriff „theatricality“ eng an das textgestützte Schauspieltheater gebunden, was dazu geführt hat, dass die Begriffe „theatricality“ und „performativity“ sowie „theatre“ und „performance“ eher als Gegensätze begriffen werden. Fischer-Lichte bezieht sich auf Féral (vgl. Féral 1982, 170 ff.), der dem Theater „Repräsentation, Narrativität, Schließung, die Konstruktion von Subjekten in physikalischen und psychologischen Räumen, die Sphäre kodifizierter Strukturen und Zeichenhaftigkeit“ zuschreibt (Fischer-Lichte 2012, 29). Hingegen löst die Performance Kompetenzen, Kodes und Strukturen des Theatralen auf bzw. dekonstruiert diese (vgl. ebd.).
Der Performativitätsbegriff wurde insbesondere durch die Arbeiten des von Erika Fischer-Lichte geleiteten Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Performativen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Freien Universität Berlin (1999–2010) in die...