Theater der Zeit

Tanz - Subjekt - Ritual

Drei Thesen zum Solo

von Johannes Odenthal

Erschienen in: Recherchen 27: Tanz Körper Politik – Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte (10/2012)

Das Tanzsolo ist eine künstlerisch eigenständige Ausdrucksform, und es ist eine Erfindung der Moderne. So einfach das Tanzsolo in seinem Aufwand erscheint: Zugespitzt kann man das Tanzsolo als die sogar komplexeste und konsequenteste Position der Moderne beschreiben. Denn die Entstehung und auch der weitere Erfolg des modernen Tanzes ist bis heute geprägt durch das Solo. Alle wichtigen Umbruchsituationen des 20. Jahrhunderts finden in ihm ihre wegweisende Gestaltung. In drei Thesen möchte ich diese Schlüsselrolle des Tanzsolos für den modernen Tanz begründen.

Die erste These ist, dass das Solo die Entwicklung des modernen, zeitgenössischen Tanzes sogar entscheidend mitbestimmt hat. Die zweite These zeigt, dass im Tanzsolo wie in keiner anderen Kunstform, auch nicht der des Theaters, das moderne Subjekt verhandelt wird. Und mit der dritten These versuche ich, einen rituellen Aspekt der Moderne im Solo zu erfassen. Das Solo als Dialog mit der anderen Seite der Existenz.

Erste These

Das Tanzsolo ist hautnah mit den gesellschaftlichen und ästhetischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts verbunden. Das lässt sich zum einen tanzhistorisch nachvollziehen und zum anderen aus der Dynamik der modernen Kunst heraus verstehen. Der Beginn der Tanzmoderne, die Zeit um 1900, geprägt vor allem durch Tänzer wie Isadora Duncan, Loie Fuller oder die...

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